2009/03/31

Manchmal ist weniger nicht mehr

„Jetzt haben wir bald gar nichts mehr“, sagte Claudia heute morgen im Blick auf ihre Arbeitsstelle, das Gesundheitszentrum von Cambine. „Antibiotika sind schon seit Tagen aus und nun gehen auch Aspirin und Vitamintabletten zur Neige. Bald können wir nur noch Verbände wechseln...“

Die staatlich organisierte Medikamentenlieferung erfolgt normalerweise alle vierzehn Tage. Nun ist sie bereits zum zweiten Mal ausgeblieben. Dabei wollen jeden Tag 50, 60, manchmal 80 Patienten behandelt werden. Immer mehr von ihnen müssen unversorgt weggeschickt werden.

Im übergeordneten Landkrankenhaus in Chicuque sieht es nicht viel besser aus. Dabei ist es in der Versorgungspriorität höher eingestuft als Cambine. Dort ist zum Beispiel der Notstromgenerator kaputt. Für die Reparatur fehlt das Geld. An den Wochenenden gibt es fast regelmäßig mehrstündige Stromabschaltungen. Dann steht das Krankenhaus ohne Strom da. Nächtliche Operationen werden notdürftig per Handy beleuchtet. Das erzählt uns ein Arzt, der dort arbeitet. Wegen des allgemeinen Mangels seien im Krankenhaus schon Menschen gestorben.

Zugleich lesen wir in einer Meldung, dass auch im laufenden Jahr 2009 über die Hälfte des mosambikanischen Staatshaushaltes nicht im Land selber erwirtschaftet wird, sondern von ausländischen Gebern stammt. Es kann durchaus geschehen, dass diese Quellen künftig immer weniger ergiebig sprudeln oder ganz versiegen. Wir leben schließlich in Zeiten einer weltweiten Wirtschaftskrise. – Was dann?

Dann klingen Sätze wie der des deutschen Bundespräsidenten in seiner aktuellen Berliner Rede schon fast prophetisch mahnend: „Ich stehe dazu: Für mich entscheidet sich die Menschlichkeit unserer Welt am Schicksal Afrikas.“

Ob es genügend Menschen geben wird, die diese Stimme hören wollen? In den nördlichen Ländern dieser Welt? Doch nicht nur dort, sondern auch hier in Afrika? Denn es wäre Selbstbetrug, die Frage nach der Menschlichkeit zuerst oder gar ausschließlich den anderen stellen.

2009/03/29

Gekommen um zu bleiben

Am Dienstag letzter Woche war das Maß voll, das Maß eines Jahres. Der 24. März 2008, Ostermontag, war der Tag, an dem wir nach Cambine kamen, um zu bleiben. Es war schnell um, unser erstes Jahr im mosambikanischen Dorf. Wir haben viel gelernt in den zwölf Monaten seither. Doch längst noch nicht genug. Das liegt in der Natur der Sache.

Zum Beispiel letzten Sonntag: Wir wollen Claudias Geburtstag gemeinsam mit Estrela feiern, einer Absolventin des Theologischen Seminars. Seit Januar ist sie Pastorin in einer Gemeinde. Klar, dass wir da nicht allein hinfahren. Studentinnen aus dem benachbarten Wohnheim wollen mit. Dort hatte Estrela als Studentin auch gewohnt. Eine unserer Mitfahrerin wird unterwegs zusteigen, heißt es. Und: Nach dem Gottesdienst geht’s los. Das sind unsere Abmachungen. Doch schon hier haben wir falsch gemacht, was nur falsch zu machen geht. – Denn: Was heißt „unterwegs“? Und: Was heißt „nach dem Gottesdienst“?

„Nach dem Gottesdienst“ heißt: nachmittags halb zwei. Nun gut, der Gottesdienst ging immerhin fast bis halb eins. Und „unterwegs“ heißt: An der Taxihaltestelle im Nachbarort Morrumbene. Als wir dort ankommen, stellt sich heraus: Keiner weiß, wann die dritte Gratulantin bei uns einsteigen wird. Jemand ruft sie an. Ja, sie sei unterwegs – zur Taxihaltestelle. Wann das Taxi losfährt? In Afrika ist nur eine Antwort auf diese Frage möglich: Das weiß im Vorhinein keiner genau. Also warten wir. Und rufen bei Estrela an: Es wird später werden. Sie nimmt es zur Kenntnis. Wir sitzen im Auto und warten. Wir werden ungeduldig. Wir überlegen ernsthaft, umzukehren. Essen wir den frischen Kuchen eben allein auf! Wer will schon den Sonntag Nachmittag am Straßenrand verbringen, wenn er anderswo Geburtstag feiern könnte? Dann kommt das heiß ersehnte Taxi. Da ist es kurz vor halb vier. Fast 90 Minuten sind vergangen. Also doch nicht umkehren! Losfahren! Obwohl: so richtig nach Feiern ist uns nicht mehr zumute.

Estrelas Gemeinde befindet sich im Busch. 20 weitere Minuten holpriger Fahrt liegen vor uns. Als wir ankommen, ist es kurz vor vier. Und die ganze Gemeinde ist da! Singend und tanzend kommen sie, uns zu begrüßen. Seit zwölf Uhr mittags haben sie auf uns gewartet! Ärger? Den spürt man bei ihnen nicht. Vielleicht liegt es daran, dass auch unser Ärger bald verfliegt. Es bleibt uns eine reiche Stunde. Die wollen wir nicht verderben. Wir feiern mit den Schwestern und Brüdern. Die Geburtstagskinder werden beschenkt. Wir singen und tanzen. Nicht zuletzt wird gegessen und getrunken. Um fünf müssen wir wieder los. Wir wollen noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder in Cambine sein. Ja, wir hätten alles besser absprechen sollen. Auch unsere afrikanischen Freundinnen sagen das. Nachher. Doch wir hätten es wissen können. Vorher.

Wir müssen eben noch viel lernen. Auch nach diesem Jahr, das für uns scheinbar viel schneller verging als jene 90 Minuten am Straßenrand von Morrumbene.

2009/03/12

Weil ihr’s uns wert seid

Vor Jahren, so erzählte uns ein ehemaliger Missionar in Nigeria, war das noch so: Wenn wir in die Heimat anrufen wollten, mussten wir uns zuerst ins Auto setzen. Dann mussten wir sechs Stunden über abenteuerliche Pisten fahren, um das Haus des Superintendenten zu erreichen. Das war der nächste, der ein Telefon hatte. Doch wenn wir losfuhren, wussten wir nicht, ob es funktionieren würde oder ob überhaupt jemand zu Hause sein würde. Da kam es schon vor, dass wir zwölf Stunden unterwegs waren und nicht telefonieren konnten.

So gesehen, geht es uns richtig gut. Das Mobilfunknetz reicht bei gutem Wetter bis unter unseren Mangobaum und in eine unserer Zimmerecken. Doch wenn das nicht der fall sein sollte, bleibt immer noch das Festnetztelefon. Und selbst einen Internetanschluss haben wir im Haus. Wir sollten also keinen Grund zum Klagen haben. – Eigentlich.

Wie sooft – nicht nur in Afrika – sind es die scheinbaren Kleinigkeiten, die dann eben doch für Ärger sorgen. Ich versuche aufzuzählen:

1. In unserer Region gibt es nur einen Anbieter, und der macht sein Geschäft sowohl mit Telefon- als auch Internetanschlüssen. Diese Monopolsituation nutzt er weidlich aus. – Wie auch immer, das ist in der Marktwirtschaft nun mal so.

2. Das betrifft sowohl den Service, als auch die Preise.

3. Zum Stichwort Service: Die monatliche Gebühr geht nicht etwa zu überweisen, vielleicht sogar online. Nein, man muss das Geld ins Büro tragen und zwar jeweils vor 14 Uhr, weil danach wird das Geld zur Bank gebracht und die schließt nun mal um 15 Uhr.

4. Weiter zum Stichwort Service: Der Vertrag mit uns als Nutzern hat natürlich viele Zeilen Kleingedrucktes. Der Bitte, uns die auf Portugiesisch formulierten Bedingungen und besonders den Tarif zu erläutern, kommt man zwar wortreich nach. Trotzdem haben wir aber den Eindruck, dass uns die wichtigsten Informationen vorenthalten werden.

5. Dazu kommt, dass Vertragsänderungen seitens des Anbieters jedes mal zu unseren Ungunsten ausfallen – durch Fehler, die der Anbieter zu verantworten hat! So hat man uns seit Dezember 2008 monatlich den erweiterten Internetzugang abgerechnet, obwohl wir nur einen Basisvertrag haben. – Ob wir das zuviel gezahlte Geld gut geschrieben bekommen? Darüber müssten wir mit der Chefin verhandeln... Nein, sage ich, das kommt nicht in Frage. Das Geld steht uns zu! - Inzwischen sind Wochen vergangen und statt unser Problem zu lösen, hat man uns am 12.3. den Internetzugang abgeklemmt.

6. Wenn alles rechtens zuginge, müssten wir für eine Downloadkapazität von 2,5 GB umgerechnet ca. 50 Euro im Monat berappen – und das für einen Flaschenhals, durch den alles muss: langsam, langsam. Trotzdem ist das Luxus. Und der hat eben seinen Preis...

So ist das. Aber wie tröstete uns unsere gute Freundin Barbara: An irgendwas müsst ihr doch merken, dass ihr in Afrika seid! Eben. Und außerdem zahlen wir das alles gerne. Warum? Weil ihr es uns wert seid!

PS: Wider Erwarten hat man uns nun, da wir wieder einmal viel zu viel bezahlt haben, unverzüglich wieder ans Netz gebracht. Wunder über Wunder!

2009/03/09

Impressionen

Estrela ist Pastorin, letzten Dezember hat sie ihre erste Dienstzuweisung erhalten. Seit Januar arbeitet sie nun in einer Gemeinde. Noch während des Studiums hatte sie begonnen, an der Abendschule den Abschluss der zwölften Klasse nachzuholen. Wochentags hat sie jeden Abend von 17 Uhr bis 22 Uhr Unterricht. Und danach läuft sie über dunkle, holprige Wege durch den Palmenwald nach Hause. Zwei Stunden Weg, vor Mitternacht ist sie nie zu Hause, sagt sie.

Zur Zeit arbeitet Claudia in der Apotheke des Gesundheitszentrums. Aida heißt die Kollegin, die sie dort anlernt. „Naja“, meinte Claudia nach den ersten Tagen, „so ganz einfach ist die Zusammenarbeit nicht. Ich habe schon den Eindruck, dass sie sich auf meine Kosten etwas ausruht.“ Doch dann kamen sie miteinander darüber ins Gespräch und Claudia erfuhr, warum Aida sich ausruht: Jeden früh um vier beginnt für sie die Arbeit auf dem Feld. Da ist es noch dunkel. Wenn Aida dann gegen halb acht in der Apotheke erscheint, hat sie normalerweise noch nicht gefrühstückt. Das tut sie gemeinsam mit den anderen gegen elf: Erst muss jemand auf den Markt gehen und Brot kaufen. - Während der Arbeitszeit? Natürlich, wann denn sonst? Früh hat der Markt doch noch gar nicht auf. Und am Nachmittag geht es wieder auf das Feld, jeden Tag. Muss das sein? Ja, es muss. - Im Moment warten Claudias Kolleginnen schon wieder seit fast drei Monaten auf ihr Gehalt. Wovon sollten sie in solchen Zeiten leben, wenn nicht vom Ertrag ihrer Felder?

Wenn wir kurz vor der Abenddämmerung unsere 80-Minuten-Strecke gehen, sind wir nie allein unterwegs. Gemeinsam mit uns sind hunderte von jungen Leuten auf dem gleichen Weg: Schülerinnen und Schüler unterschiedlichen Alters auf dem Heimweg von der Schule. Sie laufen einzeln, pärchenweise oder in Gruppen. Meist gibt es in diesen Grüppchen eine besonders vorwitzige Person. Die versucht dann mit uns Schritt zu halten. Irgendwann folgt der Versuch, mit uns in Kontakt zu treten, meist mit einen Gruß auf Englisch: „Good afternoon, my friend!“ oder „Hello, I’m fine and you?“ Normalerweise grüßen wir kurz zurück, gehen aber nicht weiter ein auf den Annäherungsversuch. Wir wollen ja laufen und nicht reden. Manchmal aber spüren wir auch, dass auf unsere Kosten Witze gemacht werden. „Mulungu“ werden wir dann genannt, das ist auf Shitzua das Wort, mit dem die Weißen bezeichnet werden. Ich komm mir manchmal vor wie ein weißer Neger. Dabei wollte ich doch einfach nur ein Stück laufen.

Gestern war der 8. März – Frauentag. Heute haben wir darüber gestritten. Kommt uns auf dem Weg ein Kind entgegen und grüßt: „Professor Thomas!“ - Claudia sagt: „Da hast du’s wieder: Frauen werden hier nicht gegrüßt! Die zählen eben nicht soviel wie die Männer.“ Ich weiß, das sie recht hat. Ich frage zurück: „Was kann ich dagegen tun? Das ist hier nun mal so.“ Sie fühlt sich unverstanden: „Mit wem soll ich denn drüber reden, wenn nicht mit dir? Und nicht einmal du verstehst mich...“ „Nein, aber mal ehrlich, was soll ich dazu sagen? Hast du ‘ne Idee, was man dagegen tun kann ?“ – Wir schweigen, trotzig laufen wir strammen Schrittes nach Hause. Wir haben keine Antwort gefunden. Was kann man da machen? Habt ihr ‘ne Idee?