2009/06/20

Ja, bin ich denn ein Kiosk?

Es war Ende der 70er Jahre, als die Schweizer Mundartband RUMPELSTILZ ihr Lied vom KIOSK sang. Das ist inzwischen dreißig Jahre her und doch geistert die Erinnerung an jene Zeilen mir immer noch durch den Kopf – besonders seit wir hier in Mosambik leben:

Leute, bin ich denn ein Kiosk?
Oder bin ich etwa 'ne Bank?
Oder seh ich aus wie ein Hotel?
Oder wie'n Kassenschrank?

Kein Tag vergeht, an dem nicht irgendwer etwas von uns will: Mitfahrgelegenheit, Geld leihen, Rührgerät borgen, Wäsche auf unsere Leine hängen, Wasserkanister aus unserem Tank füllen, Schmerztabletten, einen Fußball für die Mannschaft, einen Becher Wasser und eine Banane, schnell mal was auf dem Computer schreiben, im Internet recherchieren, ein Radio aus Deutschland mitbringen lassen oder Orangen vom Baum pflücken und, und, und...

Wir sind in die Stadt gefahren. Wir warten am vereinbarten Treffpunkt, dass unsere Mitfahrer von ihren Einkäufen zurückkommen. Die Autofenster sind offen. Man sieht: da sitzen Weiße. Es dauert nicht lange, dann kommt das Pärchen, das wir schon kennen. An einem Stock zieht eine Frau ihren offenbar blinden Sohn hinter sich her. „My friend!“, ruft sie ins Auto und streckt mir ihre leere Hand entgegen. Ich reagiere nicht sofort. Sie ruft erneut: „My friend!“ Und ihre Hand ist ganz nah bei mir. Ich lege eine Münze hinein. Sie nickt und zieht ihren Sohn zum nächsten Auto. Kaum sind sie weg, kommt ein junger Mann mit gelber Weste. Er will mir „credito“ verkaufen: Guthaben fürs Mobiltelefon. Von den hundert Meticais, die ich zahle, bleiben vier oder fünf bei ihm. Damit verdient er sein Geld. Und der Junge mit den Orangen, auch er will verkaufen. Wir kaufen nicht, schenken ihm dafür eine Schachtel Buntstifte. Er ist unzufrieden. Ein kleiner Mann hat lauter Gürtel um den Hals hängen, in den Händen trägt er Messer, Macheten, Thermoskrüge und Taschenlampen. Auch er möchte, muss seine Sachen verkaufen, verkaufen, verkaufen. Und wer, wenn nicht die, die Geld haben, soll sie kaufen? Du, Weißer, my friend, minha amiga, du hast es doch, drum kauf mir was ab. Und wenn nicht, dann gib mir wenigstens ein Almosen. Von irgendetwas muss ich doch leben...

Das sind die Momente, in denen ich an das Lied vom Kiosk denke: Ja, bin ich denn ein Kiosk? Oder bin ich etwa ne Bank? – Kann ich immer nur geben, austeilen, helfen, nur weil ich etwas habe, das andere nicht haben? Was ist meine Rolle als Weißer, als Helfer? Was ist meine Mission als „Missionar“?

Nein, ich bin kein Kiosk und schon gar nicht eine Bank. Ich kann nicht allen helfen und schon gar nicht immer. Ich habe gelernt, nein zu sagen. Manchmal fällt es leichter, manchmal schwerer.

Vor einiger Zeit haben wir beschlossen, kein Geld mehr zu verleihen. Im Moment des Leihens unterstelle ich den meisten die ehrliche Absicht, das Geld zurück zu geben. Doch wenn es soweit ist, reicht das Geld dann eben doch oft nicht, um es wirklich zu tun. Was bleibt, ist Scham auf der einen und Ärger auf der anderen Seite. Darüber zu sprechen, ist selten möglich.

Das Traurige daran ist, dass sich auf diese Weise die Beziehung zueinander verändert. Wir sehen ineinander immer weniger die Menschen, die wir sind und immer mehr die Bilder, die wir uns voneinander machen: den Weißen, der hat und der deshalb geben kann und geben soll? Den Schwarzen, der haben will, was er nicht hat, weil er es braucht oder zu brauchen meint.

Ja, das ist im eigentlichen Sinn des Wortes schwarz-weiß gemalt, wie ein Holzschnitt. Es ist ein Bild und nicht die Realität selber. Denn in Wirklichkeit gibt es zwischen schwarz und weiß unzählig viele Farben und nicht nur Grautöne!

Gott sei Dank, dass diese Farben manchmal aufblitzen! Oft geschieht das, wenn Gegenseitigkeit gelingt: in einem Gespräch versuchen wir ehrlich zu sein und einander zu verstehen. Oder jemand sagt einfach mal: Danke. Oder einer macht einen Witz und wir lachen gemeinsam – bestenfalls über uns selber.



Und noch einmal für alle, die political correctness mehr lieben als den Sprachwitz:

2009/06/12

Wohnen Sie noch?...

...oder leben Sie schon? Vor einigen Jahren war das der Werbeslogan einer großen blau-gelben Möbelhauskette. - Wohnen sie schon? Oder hausen sie noch? So möchte ich den Spruch abwandeln, wenn ich an die Unterkünfte der Schüler in Cambine denke. Gemeinsam mit dem Leiter der Gesundheitsstation haben wir in dieser Woche die beiden Internate besucht. Wir wollten erkunden, welche Maßnahmen nötig sind, um einen besseren Schutz vor Malaria zu erreichen.


Das Mädcheninternat wurde 2005 gebaut und befindet sich in einem vergleichsweise guten Zustand. Die Leiterin sagte uns, schon beim Neubau seien Netze für die Fenster vorgesehen gewesen und auch bezahlt worden. Nur eingebaut wurden sie nie. Im Haus selber stehen die Doppelstockbetten dicht an dicht. 120 Schülerinnen auf engstem Raum beieinander, kein Schrank, kein Kleiderständer - nur Betten und Reisetaschen. An einen Arbeitsplatz für Hausaufgaben ist nicht zu denken. Die werden auf der grünen Wiese oder am Straßenrand auf einem umgestürzten Baumstamm erledigt.


Das "internato masculino" bietet seinen Bewohnern zwar mehr Raum. Dafür befindet es sich in einem bedauernswerten Zustand. Die Schüler schlafen auf dem mit einer Decke oder Strohmatte belegten eisernen Bettgestell. Die Matratzen wurden gestohlen. Nach den nächsten Ferien wären wohl auch neu angeschaffte Matratzen wieder verschwunden. Moskitonetze vor den Fenstern gibt es nicht. Auch in diesen Häusern gibt es keine Schreibtische, Schränke oder Regale. - Wer unter solchen Umständen lernt und möglicherweise noch gute Ergebnisse erzielt, muss wirklich hoch motiviert sein, scheint mir.


Und doch: Als Europäer nehmen wir diese Zustände anders wahr als die Afrikaner. Wir sind einfach andere Lebensbedingungen gewöhnt. Dabei kann es durchaus sein, dass mancher Schüler und manche Schülerin zu hause noch ärmlicher leben muss als hier.


In diesem Haus lebte der Gründer der mosambikanischen Befreiungsfront Eduardo Mondlane, als er in der 1940er Jahren Schüler in Cambine war.

2009/06/11

Grenz-Erfahrungen

Von unserem Heimatort im Erzgebirge waren es nur etwa siebzig Kilometer bis nach Hof in Bayern. Trotzdem dauerte es über dreißig Jahre, bis ich das erste mal im Leben nach Hof kam. Daran musste ich denken, als wir vor einigen Tagen mit unserer Hausangestellten Martha, ihrem Sohn und einer kleinen Nichte den Strand von Barra besuchten. Von Cambine bis Barra sind es ein paar Kilometer mehr als von Schönheide nach Hof. Doch haben wir allezeit freie Fahrt. Kein Schlagbaum und kein Minenfeld schneiden uns den Weg ab. Und doch hat auch Martha mehr als dreißig Jahre gebraucht, um einmal nach Barra zu kommen. Zwischen Cambine und Barra gibt es also doch eine Grenze, die nicht jeder überwinden kann.

Den deutsch-deutschen Todesstreifen vermochte niemand zu übersehen. Die Scheidelinie, von der hier wir hier reden, ist nahezu unsichtbar. Sie verläuft längs der Straße. Zwischen den Palmen scheint sie sich zu verlieren. Auf dem Parkplatz von Barra ist sie wieder da. Sie verläuft quer durchs Restaurant bis an den Strand. Selbst in der Speisekarte ist sie als unsichtbare Linie vorhanden. Es ist die Grenze zwischen arm und reich, die hier in Afrika an vielen Stellen immer noch und immer wieder eine Grenze zwischen Schwarz und Weiß ist.



Anders als im alten Südafrika ist Apartheid hier nicht per Gesetz verordnete Rassentrennung. Es ist eine Apartheid, die sich schlicht aus den Einkommen ergibt. Wer hat hier schon ein Auto, mit dem er die Strecke fahren könnte? Mit öffentlichen Verkehrsmitteln schafft man an einem Tag allenfalls den Hinweg. Und wer kann sich in Barra eine Übernachtung leisten? Nur der, dem auch ein Auto nicht zu teuer ist...



Nach einigen Stunden am Strand sitzen wir gemeinsam im Restaurant. Martha fällt es sichtlich schwer, ein Gericht zu wählen. Beim Blick in die Speisekarte schüttelt sie immer wieder den Kopf. Eine Fischplatte für 300 Meticais? Das ist für sie ein Wochenverdienst. Sollte sie uns das wirklich zumuten? Und was die Getränke kosten... Am Ende zahle ich für die Mahlzeit ungefähr so viel, wie Martha bei uns in einem Monat verdient. Dabei zahlen wir schon vergleichsweise gut. Da ist sie wieder, diese Grenze. Diesmal verläuft sie quer über unseren Tisch.



PS: In dem Strandauto auf dem Bild ganz oben sind die Angestellten einer Touristen-Tauch-Schule unterwegs.

2009/06/02

FAQ 1 - Was Sie immer schon wissen wollten und sich nie zu fragen trauten

Wo gehen eigentlich die Menschen aufs Klo, die in den Strohhütten wohnen?

Irgendwo abseits gibt es auf jedem Grundstück eine Casa de Banho, also einen gemauerten oder aus Palmzweigen oder Stroh hergestellten Verschlag, hinter dem man sich wäscht, wenn man es nicht ohnehin gleich am Fluß tut. Meist ist dort in der Nähe noch ein zweiter Verschlag, hinter dem sich eine mehr oder weniger abgedeckte Grube befindet - das Klo.
Übrigens reicht man sich hier, wenn überhaupt, wirklich nur die rechte Hand zum Gruß, denn die Linke braucht man ja zum A...abwischen und Klopapier wird selten benutzt. Darüber hinaus ist es immer wieder erstaunlich, in welcher beeindruckenden Offenheit Männer und Frauen(!) sich hier ihrer Notdurft entledigen. Bei Männern kennt man so was ja schon eher, aber dass auch Frauen am Straßenrand mal schnell den Rock raffen, das hatte ich vorher erst einmal gesehen, hier allerdings schon öfters. Aber so ist das eben: Wo es keine öffentlichen Toiletten gibt, wird zwangsläufig die Öffentlichkeit selber zur Toilette.

Geschwister?

„Seid ihr Geschwister?“ - Eine Frau fragte uns das auf der Straße. Sie kam vom Fluss und trug einen 20-Liter-Kanister mit frischen Wasser auf dem Kopf. „Warum denkst du das?“ fragten wir zurück. „Wir sind seit fast 30 Jahren verheiratet.“ Sie schüttelte den Kopf und meinte nur: „Ein glückliches Ehepaar... Gratulation! Dass es so etwas gibt!“ - So einfach ist das: Du brauchst nur miteinander in die gleiche Richtung zu gehen, um den Eindruck zu erwecken, glücklich zu sein. - Ist es wirklich so einfach?