2012/11/20

Auf und davon


Eines Tages war Orlando in Cambine im Gottesdienst aufgetaucht. Es hieß, er sei aus Inhassoro gekommen, eine Strecke, die ein Kind kaum allein zu Fuß zurücklegt. Wie er von so weit weg ausgerechnet nach Cambine kam? Keiner weiß es. Jedenfalls zog er im Waisenhaus ein. Das war vor etwa anderthalb Jahren. Da war er zwölf.
In die Gemeinschaft mit den anderen Kindern fügte er sich ein. Er blieb eher unauffällig. Keine außerordentlichen Leistungen, die er vollbrachte. Keine bemerkenswerten Probleme, die er verursachte. Und dass ein Dreizehnjähriger nicht immer vor Begeisterung glüht, wenn es z.B. darum geht, auf dem Feld zu arbeiten, das soll vorkommen.
Seit gestern ist Orlando verschwunden. Mit noch einem Jungen war er morgens auf dem Markt, Brötchen verkaufen. Sie erzielten einen guten Umsatz: 300 Meticais. Als sie zurück ins Waisenhaus kamen, war der Bäcker grade mal nicht da. Ihm hätte Orlando das Geld übergeben sollen.
Acht Euro in der Tasche, für Orlando ist das viel Geld. Jetzt oder nie, mag er sich gedacht haben und machte sich davon. Vielleicht zurück nach Inhassoro, vielleicht sonstwohin. Nur: mit acht Euro kommt man auch in Mosambik nicht weit. Vielleicht kommt er zurück, wenn ihn z.B. die Polizei aufgreift. Möglicherweise sehen wir ihn auch nie wieder. Neulich, so sagte uns eine der Hausmütter, sei bei einer von ihnen noch mehr Geld abhanden gekommen. Vielleicht hat Orlando seine Flucht viel besser vorbereitet, als wir ahnen.

Die Cruzamento auf dem Weg von Cambine an die Hauptstraße

2012/11/17

Tumulte in der Hauptstadt

Vorgestern gab es wieder einmal Tumulte in Maputo. Straßen wurden blockiert. Der öffentliche Nahverkehr kam zeitweise zum Erliegen. Die Polizei hatte offenbar alle Mühe, die Situation "unter Kontrolle" zu halten, oder besser: zu bringen. Was war geschehen?
Wieder einmal hat die Regierung versucht, die Preise im Nahverkehr zu erhöhen. Außerdem sollten die Routen der Chapas, also der Minibustaxis, verändert und verkürzt werden. Daraufhin tat das Volk, wie vorher schon im Februar 2008 und im September 2010, deutlich seinen Unmut kund. Inzwischen ist es wohl wieder ruhiger in Maputo. Doch gelöst ist die Situation noch nicht.
In Cambine haben wir von alledem nur durch die Medien vernommen. Und dadurch, dass Dona Maravilha, die Direktorin des Waisenhauses, genau an diesem Tag nach Maputo unterwegs war. Sie schickte uns eine SMS. Sie ist gut angekommen.
Übrigens: Die totale Stromabschaltung für heute abend und morgen ist inzwischen abgesagt worden. Man wolle es mit "alternativen Mitteln" versuchen - was immer das heißen mag. Offenbar ist es den Sicherheitskräften nicht geheuer, in dieser Situation die Stadt Maputo und drei Provinzen eine ganze Nacht im Dunkeln zu lassen. Wir werden sehen, was passieren wird.

PS: In diesem Zusammenhang ein herzliches Dankeschön an Tunduru, der sehr aufmerksam die Vorgänge in Mosambik verfolgt, und mich schon öfters auf aktuelle Meldungen im Internet hingewiesen hat. 

Brotloser Dienst

Letzten Sonntag im Gottesdienst anlässlich der Distriktskonferenz: Meine anwesenden Lehrerkollegen am Theologischen Seminar werden nach vorn gerufen. Der Superintendent erklärt der versammelten Gemeinde, dass diese Pastoren Hunger leiden. Sie sehen zwar nicht so aus in ihren chicen Anzügen, aber es ist wahr: Seit April haben sie kein Gehalt mehr bekommen. Und wann die Kirche das nächste Geld überweisen wird, weiß keiner. 
Auf große Ersparnisse wird keiner der vier zurückgreifen können. Denn das Traurige ist: das läuft in jedem Jahr so ähnlich. Mal reicht das Geld für die Gehälter bis Juni, mal eben auch nur bis April. (Ich habe davon schon verschiedentlich berichtet.) 

Meine Kollegen Lehrer am Theologischen Seminar: Seit Monaten ohne Gehalt
Nun ist es nicht so, dass meine Kollegen gar nichts zwischen die Zähne bekämen. Immerhin haben sie in Cambine die Möglichkeit, auf dem Feld etwas anzubauen. Doch trotzdem reicht es oft hinten und vorne nicht. Der Superintendent bittet um eine Kollekte. Es kommen 1300 Meticais (etwa 35 €) ein. Das ist zwar nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, immerhin ist es ein Zeichen der Verbundenheit.
Noch ernster ist die Situation bei den von der Kirche angestellten Hilfskräften im Gesundheitswesen. Die haben seit November 2011 kein Gehalt mehr bekommen. Und keiner von ihnen wagt es, etwas zu unternehmen. Sie sagen sich wohl: Wenn ich aufmucke, werde ich meinen Arbeitsplatz verlieren. Dann habe ich gar keine Chance mehr, das ausstehende Geld zu erhalten. Also weiterarbeiten. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Dazwischen sitzen wir Europäer täglich am gut gedeckten Tisch. Natürlich spüren wir den Impuls, ihnen helfen zu sollen. Aber wie soll das gehen? Punktuell können wir diesem und jenem etwas zukommen lassen. Doch das Gehaltsproblem als solches ist struktureller Art. Das zu lösen steht in der Verantwortung der Kirche für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

2012/11/14

Mit Energie bauen wir die Zukunft

Gerade erhielten wir eine E-Mail von der Sicherheitsbeauftragten der deutschen Botschaft in Maputo. In einem Anhang zu dieser Mail informiert der einzige, staatliche Energieversorger EDM über eine bevorstehende Stromabschaltung:
EDM informiert seine geschätzten Kunden und die Öffentlichkeit im allgemeinen, dass von Sonnabend, 17.11.2012, 22 Uhr bis Sonntag, 18.11.2012, 18 Uhr im gesamten Süden des Landes der Strom abgeschalten wird.
Diese Abschaltung erfolgt wegen der probeweisen Inbetriebnahme von Transformatoren in der Unterverteilungsstation MOTRACO in der Provinz Maputo. Ziel dieser probeweisen Inbetriebnahme ist die Verbesserung der Netzqualität.
Da die Leitungen jederzeit kurzzeitig unter Strom stehen können, sind sie trotz der Abschaltung als ständig stromführend zu betrachten.
EDM appelliert an das Verständnis seiner Kunden und der allgemeinen Öffentlichkeit und bittet ernstlich, die Störungen zu entschuldigen, die durch die Stromabschaltung hervorgerufen werden.
Maputo, 14. November 2012  -- mit Energie bauen wir die Zukunft --
Man muss sich das vorstellen, der gesamte Süden des Landes! Da nicht genau beschrieben wird, welche Provinzen die Abschaltung umfasst, können wir nicht genau sagen, um welches Gebiet es sich handelt. Offenbar geht es zumindest um die Provinzen Maputo, einschließlich der Hauptstadt, sowie Gaza und Inhambane. Von der südlichen Grenze Mosambiks bis an die nördliche Grenze der Inhambane-Provinz sind es immerhin etwa 800km. 

Bemerkenswert ist, dass EDM seine Kunden und die allgemeine Öffentlichkeit überhaupt informiert. Das ist ein Fortschritt, auch wenn uns die Nachricht nicht direkt, sondern über die Botschaft erreicht. Die wiederum gibt die Nachricht aus Sicherheitsgründen weiter:
Längere Stromausfälle über Nacht können zu einem Anstieg der Kriminalität führen. Ich rate daher noch mehr als sonst davon ab, in der Nacht von Samstag auf Sonntag zu Fuß unterwegs zu sein. Bitte halten Sie Ihr Wachpersonal außerdem zu erhöhter Wachsamkeit an und achten Sie darauf, dass Ihre Häuser und Wohnungen gesichert sind.
Das gilt natürlich hauptsächlich für die großen Städte. Bei uns in Cambine wird es am kommenden Wochenende voraussichtlich nur wenig dunkler sein als sonst auch. Mit Wasser werden wir uns bevorraten und den Kühlschrank nur öffnen, wenn unbedingt nötig. Licht werden wir trotzdem haben. Dafür nutzen wir Solarenergie.

aktueller Kommentar dazu:
http://nachrichten.t-online.de/stromausfall-in-muenchen-legt-grosse-teile-der-stadt-lahm/id_60922738/index

2012/11/10

"Heim"kehr

Das war die Überschrift einer E-Mail, die in der vergangenen Woche bei uns ankam. Ja, wir sind wieder einmal von daheim nach Hause zurückgekehrt. Nach reichlich acht Wochen, die wir in Europa unterwegs waren, sind wir nun schon wieder eine ganze Woche in Cambine. Die Reise verlief ohne Zwischenfälle und gefährliche Situationen. Dafür sind wir jedesmal von Neuem dankbar. Wir reisen oft und gerne, wer uns kennt, weiß das. Und doch ist es auch für uns nicht selbstverständlich, dass wir jedesmal heil ankommen.
Die ersten Tage in Mosambik haben wir hauptsächlich damit zugebracht, Liegengebliebenes aufzuarbeiten. Das gilt vor allem für die Buchhaltung im Waisenhaus. Drei Monate nachbuchen, das ist schon eine Herausforderung, auch wenn Direktorin Maravilha gut vorgearbeitet hat. Und weil es jetzt auf den Jahreswechsel zugeht, gilt es auch den Haushalt für 2013 vorzubereiten. Mit alldem sind wir zwar noch nicht fertig, aber wenigstens sind wir ein gutes Stück vorangekommen.
Im Theologischen Seminar ging gestern die Prüfungszeit zu Ende. Meine Fächer wurden dieses Jahr schn früher abgeprüft. Eine Woche im November ist noch für die Wiederholungsprüfungen bestimmt, dann gibt es den nächsten Unterricht erst nächstes Jahr Anfang Februar. Offiziell sind bis dahin Ferien. Allerdings heißt das nicht, das alles Freizeit wäre. Mehr darüber zu gegebener Zeit.
Den heutigen Tag habe ich einmal mehr am Computer zugebracht - mit mäßigem Erfolg. Immerhin habe ich mir Zugang zum Netz verschaffen können. Für den Rest werde ich mir Hilfe erbitten müssen.
Heute morgen waren wir gleichmal als Krankentransport im Einsatz. Arlindo, der Vierjährige aus dem Waisenhaus, hatte sich einen ansehnlichen Maniokschnitz tief ins Nasenloch geschoben. Alle Versuche, ihn wieder rauszubekommen, schlugen fehl. Also ab ins Krankenhaus. Da ging es dann ganz schnell. Und nun ist wieder in alter Frische unterwegs.
Morgen wartet wieder ein laaanger Gottesdienst auf uns: Distriktskonferenz in Morrumbene. Wie auch immer, wir werden dabei sein und die große versammelte Gemeinde von den Schwestern und Brüdern in Europa grüßen.
Ihr seht, unser afrikanischer Alltag hat uns wieder. So ist das eben, wenn man mehr als ein Zuhause hat.

Arzgebirg, wie bist du schie... aber trotzdem kann ich
glücklich nicht allein in Sachsen sein.