2014/08/04

Cambine Kalender - August 2014


MOZAMBIQUE
 
I like to spend some time in Mozambique
The sunny sky is aqua blue
And all the couples dancing cheek to cheek
It's very nice to stay a week or two

And fall in love just me and you.
There's a lot of pretty girls in Mozambique
And plenty time for good romance
And everybody likes to stop and speak

To give the special one you seek a chance
Or maybe say hello with just a glance.
Lying next to her by the ocean
Reaching out and touching her hand

Whispering your secret emotion
Magic in a magical land.
And when it's time for leaving Mozambique
To say goodbye to sand and sea

 You turn around to take a final peek
And you see why it's so unique to be
Among the lovely people living free
Upon the beach of sunny Mozambique


Es war im Jahr 1976, als Bob Dylan seine Platte DESIRE veröffentlichte. Ich finde, sie enthält einige seiner schönsten Lieder. Ob nun der Song MOZAMBIQUE zu ihnen gehört, mag jeder für sich selbst entscheiden. Eine Strandromanze: gemeinsam am Meer liegen, Händchen halten, süße Worte flüstern. Manche seiner Fans meinten, aus Dylans Hymne eine Unterstützung der damals noch jungen Volksrepublik herauszulesen. 1975 war der ein Jahrzehnt andauernde Krieg gegen die Kolonialmacht Portugal endlich zu Ende gegangen. Doch schon zeichnete sich der Konflikt zwischen den ehemaligen Verbündeten FRELIMO und RENAMO ab. Was damals niemand wissen konnte: Es folgte ein blutiger Bürgerkrieg, der das Land weitere 16 Jahre in Mitleidenschaft zog. So gesehen ist Dylans Romanze eher Schnulze als politisches Statement.

Und doch: Wer einmal ein paar Tage und Nächte an einem mosambikanischen Strand zugebracht hat, der wird diesen Zauber nie vergessen. Eine unserer Besucherinnen während der vergangenen Jahre brachte es auf den Punkt: „Tage, wie aus der Zeit gefallen“. In der Tat, so empfinden auch wir das oft, wenn wir uns für ein paar Tage nach Pomene davon machen, unserer bevorzugten Lodge etwa 120 km nördlich von Cambine auf einer Sandzunge zwischen Meer und Lagune gelegen. Eine „Auszeit“ im wahren Sinn des Wortes.

Voriges Wochenende waren wir wieder dort – ein letztes Mal zum Abschied nehmen. Die Ruhe geniesen. Sich sattsehen an der Natur. Lange Strandwanderungen unternehmen. Muscheln sammeln. Im Sand spielen wie Kinder. Morgens überm Meer die Sonne hinter beeindruckenden Wolkengebirgen aufgehen sehen. Abends auf der anderen Seite der Halbinsel über der Lagune ihren tiefroten Untergang beobachten. Staunen, wie schnell die Sonne hinter dem Horizont verschwindet. Eine Ahnung davon bekommen, mit welcher unvorstellbaren Geschwindigkeit wir durch das Weltall schießen. Mond und Sterne bewundern, die Milchstraße, die sich wie ein weiß schimmerndes Band quer über den Himmel zieht, das Kreuz des Südens, den Skorpion...

Apropos Skorpione, bei aller Begeisterung für die Natur nicht vergessen, dass es die nicht nur am Himmel gibt! Wilhelm Raabes Rat „Sieh auf zu den Sternen. Gib Acht auf die Gasse.“ gilt auch für den mosambikanischen Sand. Nicht nur einmal sind wir vor Schlangen erschrocken, die lautlos an uns vorbei glitten. Wirklich gefährliche Begegnungen sind uns bisher erspart geblieben. Gott sei Dank! Trotzdem, der Schreck sitzt mir jedes Mal in den Knochen. Ich nehme ihn als notwendige Erinnerung: Auch an ihrem schönsten Ende sind wir nicht „aus der Welt gefallen“. Auch da ist unser Leben gefährdet, zerbrechlich. Auch da sind wir noch immer Zeitgenossen und Lebensgefährten der anderen, die mit uns – in diesem Moment – den Planeten bevölkern und denen es nicht vergönnt ist, in Ruhe und Frieden die Schönheit der Natur zu geniesen. 

(PS: Ich bin spät dran diesen Monat: Es gab wieder mal Probleme mit dem Netzzugang.)

2014/07/02

Kopfkino - Kopfverband

João ist verletzt. Der selber keinem was zuleide tut, hat einen Stein abgekriegt. Große Platzwunde am Kopf. Geworfen hatte den Stein Domingos, sein Waisenhausbruder. Eigentlich wollte er einen anderen treffen. Der habe ihn provoziert, heißt es. Neulich gab es schon einmal so einen Zwischenfall. Da warf Domingos mit einem großen Holzscheit um sich. Das traf damals nur den Solarwassererhitzer. Eine Glasröhre ging zu Bruch. Die konnte ersetzt werden. Was aber, wenn er einmal aus Versehen eines der kleineren Kinder trifft?

Was geht in Domingos vor? Weiß er nicht, dass sein Verhalten nicht akzeptabel ist? Er weiß es. Aber manchmal kann er sich trotzdem nicht kontrollieren. Domingos ist 30 Jahre alt. Als Kind wurde er gezwungen, Soldat zu sein. Was da mit ihm geschah, weiß keiner genau. Wir können nur mutmaßen, dass die Erlebnisse von damals ihn bis heute verfolgen. - Irgendwie müssen wir Domingos vor sich selber schützen. Auch zum Schutz der anderen.

João mit seinem Kopfverband

Cambine Kalender - Juli 2014



With a little help of my friends

Wenn wir in Maxixe durch die Straßen fahren, sehen wir fast immer Autos mit Logos von Hilfsorganisationen: UNICEF, Ärzte ohne Grenzen, Samaritan's Purse, USAid, HANDICAP, SOS Kinderdörfer, GIZ und andere mehr. Dazu kommen die kirchlichen Hilfswerke und Missionen. So viele Helfer. So viele Projekte. Wahrscheinlich sind die meisten davon sinnvoll und erfüllen einen guten Zweck. HANDICAP zum Beispiel ist eigentlich eine internationale Hilfsorganisation für Körperbehinderte. In Mosambik beteiligen sie sich intensiv an der Räumung der gefährlichen Landminen. Wer wollte da etwas Kritisches dagegen einwenden?

Trotzdem, ich will ehrlich sein: die Vielzahl der Helfer ist mir nicht geheuer. Und ich sage das, obwohl ich selber einer von ihnen bin. Sind die Mosambikaner wirklich so hilfsbedürftig? Können sie die Dinge nicht selber in die Hand nehmen? Und wenn nicht, warum nicht?

Viel ist über das Thema Entwicklungshilfe in den letzten Jahren geschrieben und gestritten worden. Den einen ist es viel zu wenig, was da getan wird, den anderen viel zu viel. Das geht bis dahin, dass manche – afrikanische! - Kritiker der Entwicklungshilfe vorschlagen, die Hilfsorganisationen sollten sich komplett zurück ziehen. Nur so, sagen sie, könne man den Regierungen begreifbar machen, dass das, was die Hilfsorganisationen leisten, eigentlich zu deren ureigener Verantwortung gehört.

Ich glaube, dieses Argument ist richtig. Nur die Schlussfolgerung kann ich nicht teilen. Natürlich erleichtert der Zufluss von Hilfsgeldern und -gütern es den einheimischen Eliten oft genug, sich schamlos schadlos zu halten. Oft an den durchaus vorhandenen Einkünften aus der Förderung von Bodenschätzen und manchmal auch an den Hilfsgeldern selber. Ich meine aber, dass sich die entwickelten Länder im Norden trotzdem nicht aus der Verantwortung stehlen dürfen. Wir sind verpflichtet, mit den unterentwickelten Ländern im Süden zu kooperieren. Wir dürfen nicht so tun, als habe es den Kolonialismus nie gegeben. Oder als sei er nur eine Art Vorform von Entwicklungshilfe gewesen, die den Armen Schulen und Krankenhäuser gebracht hätte. Als wäre es im Kolonialismus nicht auch und vor allem um Ausbeutung gegangen!

Nicht zu vergessen die politische Bevormundung. Eine Ursache vieler aktueller Konflikte in Afrika liegt in der sogenannten „Berliner Konferenz“ von 1884/85. Damals zogen die Kolonialmächte die Grenzen ihrer Einflussgebiete ohne Rücksicht auf Siedlungsgebiete einheimischer Völker. Keiner fragte, in welchem Verhältnis sie zueinander standen. So wurden oft genug rivalisierende Völkergruppen in gemeinsame Staatsgebilde gepresst und zusammengehörige Siedlungsgebiete getrennt. Die dramatischen Folgen sind bis heute zu spüren.

Es geht nur miteinander! Die Schwierigkeit besteht darin, angemessene Formen von Zusammenarbeit zu finden. Das fällt um so schwerer, je größer und je offizieller der Rahmen ist. Hier sind vor allem Politik und Wirtschaft in der Pflicht, gerechte Strukturen zu schaffen, die für beide Seiten von Nutzen sind. Bleibt der Rahmen aber persönlich und überschaubar, finden sich fast immer gute Möglichkeiten zu kooperieren. Zum Beispiel in Cambine: vor Jahren wurde das Gästehaus renoviert. Geld kam aus Deutschland und den USA. Getan wurde die Arbeit von freiwilligen Helfern aus den USA und Mosambik. Das hilft den mosambikanischen Eigentümern und zugleich denen, die Mosambik besuchen. Genau so läuft es beim Bau des neuen Studentenwohnheims. Studenten des Theologischen Seminars arbeiten zusammen mit freiwillen Helfern aus Virginia, USA.

Miteinander arbeiten und feiern, das stiftet Gemeinsamkeit. Das hilft, einander über kulturelle, historische und geographische Grenzen hinweg verstehen zu lernen. Natürlich, auch diese Form der Begegnung ist nicht frei von Problemen. Und sie löst auch nicht die großen Fragen der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen. Dennoch halte ich diese Form der Zusammenarbeit für sinnvoll. Sie kann den persönlichen Horizont erheblich weiten. Menschen überschreiten die Grenzen ihrer Kultur, und sie tun es nicht als Touristen. Sie begeben sich an Orte und in Lebensbedingungen, die sie in keinem der üblichen Reisekataloge finden. Wer schon einmal an so einer Begegnung teilgenommen hat, weiß es aus eigener Erfahrung: Das Fremde bleibt nicht fremd. Es gewinnt Gestalt. Es verbindet sich mit Gesichtern, Namen, Menschen. Das passiert nicht vor dem Fernsehschirm. Das gelingt nur mit Hilfe der Freunde, die wir gewinnen, indem wir aufbrechen, ihnen zu begegnen.

typisches Motto amerikanischer Freiwilliger

Pfingsten in Cambine

Es ist Sonntagmorgen 6.15 Uhr. Das Telefon klingelt. Die Pastora steht vor unserem noch verschlossenen Gartentor. Sie müsse mich sprechen. Gestern abend habe sie einen Anruf aus Maputo erhalten. Sie müsse heute dringend dahin. Ob ich sie um neun nach Maxixe fahren könnte? Ich kann. Doch eigentlich ist es ja Gottesdienstzeit. Ob sie denn einfach so wegkönne am Pfingstsonntag? Ach, sagt sie, ich muss.

Kurz vor neun fahre ich zum Pastorhaus. Die Pastora duscht noch. Hundert Meter von ihrem Haus entfernt hat inzwischen der Pfingstgottesdienst begonnen, in dem sie eigentlich hätte sein sollen. Den hat sie heute morgen an einen Kollegen übergeben. In Cambine geht das so kurzfristig. Durch das Theologische Seminar gibt es viele Pastoren. Und wenn sie doch mal keiner findet, wird ein Student verpflichtet. Das sind die Jüngsten. Die wehren sich noch weniger als die anderen.

Als wir losfahren, frage ich die Pastora, warum sie denn so Hals über Kopf nach Maputo müsse. Jaaa, sagt sie gedehnt und stöhnt dabei vieldeutig, unsere Chefs... Gestern sei dieser Anruf gekommen, dass heute (Pfingstsonntag!) eine Sitzung sei und ab morgen ein Seminar, an dem sie teilzunehmen habe. Ich frage zurück: Doch nicht nur du allein? Nein, sagt sie, da seien noch fünf, sechs andere aus der Region dabei. Die seien auch alle gestern erst informiert worden. Worum es in dem Seminar denn ginge, frage ich, und wo genau es stattfinde. Das wisse sie nicht. Das habe man ihr nicht gesagt. Ich versuche eine letzte Frage: Werdet ihr dazu schweigen in Maputo? Oder werdet ihr den Chefs sagen, dass sie so nicht mit euch umgehen können? Die Pastora lächelt verlegen und schweigt. - Wie sie wohl auch schweigen wird, wenn sie in Maputo mit ihren Chefs in jenem Seminar sitzen wird, von dem sie noch nicht mal das Thema kennt.

Wir kommen in Maxixe an. Bevor ich sie zum Bus bringe, müssen wir noch Lebensmittel kaufen. Für die Kinder, die mit ihr im Haus wohnen und die die nächsten Tage und Nächte allein dort sein werden. Auch für sich kauft sie einen Pack Bananen. Fürs Frühstück, sagt sie, hatte sie noch gar keine Zeit.

Gegen elf bin ich wieder zurück in Cambine. Gemeindeglieder kommen mir entgegen. Der Gottesdienst scheint aus zu sein. Was werden sie dort erlebt haben? Den Geist Gottes, der Menschen dazu bringt, freimütig von dem zu reden, was ihnen am Herzen liegt? - Ach wenn es doch so wäre!

Die Realität in Mosambik ist oft ganz anders. Freimütig zu reden, das kostet überall auf der Welt Überwindung. In Mosambik erlebt man das nach meiner Erfahrung aber noch seltener als irgendwo sonst, zumal im Verhältnis zu Vorgesetzten. Das ist in der Regel angstbesetzt. Eine Kultur der kritischen Solidarität gibt es hier anscheinend nicht. Im offenen Gespräch gemeinsam nach Lösungen zu suchen, das hat kaum einer gelernt. Vieles geschieht per Weisung. Und die wird in der Regel nicht angefragt. Wer es doch einmal wagt, sich zu widersetzen, bekommt mit großer Wahrscheinlichkeit die Folgen zu spüren. Auch in der Kirche.

2014/06/01

Cambine Kalender - Juni 2014



Schule in Mosambik

Natürlich ist sie vergleichbar mit Schule in Deutschland. Und natürlich ist Schule in Mosambik ganz etwas anderes als Schule in Deutschland. Was würden zum Beispiel Schüler einer 5. Klasse in Deutschland sagen, wenn sie im Unterricht auf dem Fußboden sitzen müssten oder unter einem Baum? Und wer von ihnen ein Lehrbuch hätte, müsste es mit seinem Nachbarn teilen?

Um zu verstehen, vor welchen Herausforderungen das Bildungssystem in Mosambik steht, muss man sich vor allem folgende Situation vergegenwärtigen. Nur 3% der Gesamtbevölkerung ist über 65 Jahre alt. Dafür sind über 45% 14 Jahre oder jünger. Die Altersgruppe zwischen 15 und 24 Jahren bildet weitere 21% der Gesamtbevölkerung. Das heißt, 2/3 aller MosambikanerInnen befinden sich in einem Alter, in dem sie normalerweise eine Schule, Hochschule oder Universität besuchen. So viele Ausbildungsplätze kann ein armes Land wie Mosambik gar nicht anbieten. Das gilt besonders von Hochschulen und Universitäten.

In den Grund- und Sekundarschulen ist der Unterricht deshalb so gelegt, dass die eine Hälfte der Schuljugend morgens den Unterricht besucht, die andere Hälfte nachmittags. Und trotzdem sind die Klassen mit bis zu fünfzig, sechzig Kindern viel zu groß, als dass man sich um jeden einzelnen kümmern könnte. Wer nicht leicht begreift, bleibt schnell zurück. Weil das aber nicht automatisch heißt, dass man nicht versetzt wird, gibt es viele Schüler, die noch am Ende der 6. Klasse nicht richtig lesen und schreiben können. Das wiederum ist verhängnisvoll für deren weiteren Ausbildungsweg.

Trotzdem, die Regierung bemüht sich. Wohin man in Mosambik kommt, fast überall gibt es Schulen. Selbst im kleinsten Dorf irgendwo im Busch gibt es zu allermeist einen Fußballplatz, eine Kapelle und eine Schule, auch wenn sie oft nur ärmlichst ausgestattet ist.

In Mosambik sind Schuluniformen üblich. Das hat aus meiner Sicht eine problematische und eine gute Seite. Das Gute an den Uniformen ist, dass alle Kinder ordentliche Schulkleidung haben, zumindest am Anfang des Schuljahres. Schwer zurecht komme ich mit dem militärischen Drill, für den die Uniform auch ein Sinnbild ist.

Der Schultag beginnt mit einem Fahnenappell. Während die Nationlflagge gehisst wird, stehen die Kinder klassenweise stramm in der Morgensonne, die Hände an der Hosennaht, und singen zackig die Nationalhymne. Schulleiter und Lehrer stehen ihnen gegenüber wie Offiziere und nehmen den Appell ab. Oft werden die Schüler im Unterricht nicht bei ihrem Namen gerufen, sondern bei ihrer Nummer. Als ich das einmal miterlebte und den Lehrer fragte, warum er das tue, konnte er den Grund meiner Frage gar nicht verstehen: Das ist einfacher so. Das sind die so gewöhnt. - Mag sein, aber ist das ein Argument, über das man mit einem Pädagogen diskutieren müsste?

Schule in Mosambik. Für mich als Europäer bleibt vieles befremdlich. Eines allerdings nicht: Dass Bildung für die vielen jungen Menschen der Schlüssel ist, der ihnen die Tür zur Zukunft öffnen kann. Und dass die mosambikanische Gesellschaft das erkannt hat. Dass sie es fördert, zu wenig vielleicht und möglicherweise nicht mit den richtigen Mitteln und Methoden. Aber einigen der Kinder auf Bild sieht man trotzdem an, dass sie mit Freude bei der Sache sind. Dem Jungen in der Mitte des Bildes zum Beispiel. Er lebt im Waisenhaus und wird Pedro pequeno genannt, der kleine Peter, weil es außer ihm noch drei andere Pedros dort gibt.

2014/05/19

Die letzte Runde ist eingeläutet

Im April waren wir noch einmal in Deutschland, bevor wir im September Mosambik ganz verlassen werden. Mit dem Jahr 2014 endet auch unser Vertrag. Am 1. Januar 2015 beginnt dann offiziell der Dienst in der Friedenskirchgemeinde Chemnitz. Bis dahin gibt es noch viel zu tun: Reisedienst in Deutschland, Umzug. Und vorher noch: Unsere Arbeit hier in Mosambik zu Ende bringen. Sie in andere Hände legen. Für August erwarten wir unsere Nachfolger Claus und Renate Härtner.

Die Bauarbeiten im Waisenhaus werden wohl auch sie noch einige Zeit beschäftigen. Aber wir kommen voran. Und das tut gut. Auch wenn nicht wir das Projekt zu Ende führen können. Das erste neue Haus kann bald bezogen werden. Im zweiten neuen Haus läuft der Innenausbau. Und beim dazugehörigen Sanitärgebäude werden gerade die Wände hochgezogen.

Das Sanitärgebäude wird Toiletten und Waschgelegenheitn für 20 Kinder bieten.

In jedem der beiden neuen Wohnhäuser soll eine Hausmutter mit bis zu
zehn Kindern leben.

Cambine Kalender - Mai 2014


Ist es nicht schön, wenn jemand ganz bei der Sache ist?

Ich weiß nicht, was Nércio so aufmerksam beobachtet hat, als das Bild entstand. Doch man sieht ihm an: Er ist ganz dabei. Etwas ist da. Das zieht seinen Blick auf sich. Das hat sein Interesse geweckt. Das gibt ihm Stoff zum Nachdenken. So schenkt er ihm seine Aufmerksamkeit. Eine große Sensation wird es nicht gewesen sein. Die gibt es in Cambine nicht.

Neulich kam ich ins Waisenhaus und war im Nu von zehn Kindern umringt. Sie nahmen meine Hand und zerrten an der Hose. Sie zogen mich zu einem Strauch. „Cor“, sagten sie immer wieder, „Farbe“ und wiesen mit ihren kurzen Fingern in die grünen Äste. Es dauerte eine Weile, bis ich es sah: Da saß ein Chamäleon! Gut getarnt, aber einer von ihnen hatte es entdeckt. Das mussten sie mir zeigen. So standen wir da und schenkten ihm eine Minute oder zwei unsere Aufmerksamkeit. Wir schauten zu, wie das Chamäleon nichts tat – und es war überhaupt nicht langweilig.

Ein schöner Ausdruck: seine Aufmerksamkeit schenken. Nicht sich zusammenreißen. Nicht sich zwingen. Auch nicht sich zwingen lassen. - Es sich gönnen. Sich die Freiheit nehmen und selbst entscheiden, wem oder was man seine Aufmerksamkeit schenkt. Für einen Moment oder zwei. Und irgendwann sieht man die Welt mit neuen Augen.

Nércio ist ganz bei der Sache

2014/04/01

Ei(n)s aufs Dach gekriegt

 

Keine Angst! Es hat niemand auf uns geschossen, auch wenn man das bei diesem Anblick vermuten könnte. Es war "nur" ein Hagelschlag, allerdings ein heftiger. Bei unserem Besuch in Südafrika hatten wir unseren Toyota in der Werkstatt eines Bekannten abgegeben. Wie meist, wenn wir in Nelspruit sind, gab es dies und das zu reparieren. Doch dann, aus heiterem Himmel, fielen Hagelkörner groß wie Tennisbälle. Sie fielen nicht nur. Auf dem Betonboden müssen sie wild herum gesprungen sein. Große Schäden an vielen Fahrzeugen. Und nicht nur da. Auch Fenster, Dächer und Wassertanks gingen zu Bruch. Unser Toyota hat  zwanzig Jahre "auf dem Buckel". Bisher meinte ich, wir hätten ihn doch eigentlich ganz gut gehalten für sein Alter. Nun ist er in zwanzig Minuten Eisregen sichtbar nachgealtert. Schade eigentlich. Doch auch wieder gut: Wie sehr würden wir uns ärgern, wäre uns das mit einem Neuwagen passiert.

Cambine Kalender - April 2014




Vom heilenden Miteinander

João und Rélio – man sieht sie manchmal zusammen. João ist ungefähr 28 Jahre alt und Rélio zwei. João ist einer der Ältesten im Waisenhaus, Rélio einer der Jüngsten. João könnte Rélios Vater sein, eigentlich. Doch João wird wohl nie Vater werden. Er hat zwar die Statur eines Erwachsenen, doch in seiner geistigen Entwicklung wird er für immer ein Kind bleiben.

João kam ins neu gegründete Waisenhaus, da war er vielleicht neun oder zehn Jahre alt. Wir wissen wenig über seine Vorgeschichte. Die meisten Informationen sind in den Wirren des Bürgerkriegs verloren gegangen. Sicher ist nur, dass man ihn in einem Brunnen gefunden hat. Vorher war er von Soldaten in einem Plastiksack verschleppt worden. Ob João bereits mit einer geistigen Behinderung geboren wurde, oder ob er durch eine Gewalterfahrung Schaden genommen hat – wir werden es möglicherweise nie erfahren.

Nach mosambikanischem Gesetz ist ein Waisenhaus nur für Jugendliche bis zu einem Alter von 18 Jahren zuständig. Nach Erreichen dieser Grenze, bzw. spätestens nach Abschluss einer Ausbildung, sollen sie die Einrichtungen verlassen. Doch João wird wohl für immer in Cambine bleiben. Hier hat er seinen Platz. Hier kennt ihn jeder und weiß mit seinen Einschränkungen umzugehen. Einen besseren Platz für ihn gibt es im ganzen Land nicht.

Rélio dagegen ist ein Aufgeweckter. Seit er laufen gelernt hat, ist er gemeinsam mit den anderen Kleinen viel unterwegs. Lachend kommt er oft auf mich zu gerannt, streckt mir seine Arme entgegen und seinen Kopf zwischen meine Knie. Und wenn es doch mal weh tut oder Streit gibt, dann ist ja João da. Da kann er ausruhen.

Überhaupt: die Gemeinschaft der Kinder hat es in sich. Sie allein schon scheint eine heilende Wirkung zu haben. Nicht dass alles immer friedlich wäre oder dass alle immer nett zueinander wären. Natürlich gibt es auch hier Zank und Streit, Neid und Eifersucht. Und trotzdem: Kinder, die nach schlimmen Erfahrungen verstört im Waisenhaus ankommen, tauen auf mit der Zeit, beginnen sich zu öffnen, lernen wieder lachen – ganz ohne dass wir ihnen psychologische Beratung anbieten könnten. Irgendwie muss das Miteinander der Kinder selber eine therapeutische Wirkung haben. Das mitzuerleben ist immer wieder ein Wunder.

Natürlich löst dieses Miteinander nicht alle Probleme. Allheilmittel gibt es nirgends. Trotzdem frage ich mich, welche Atmosphäre in anderen Gemeinschaften herrscht, zu denen ich gehöre. Mag es die Familie sein oder die Kirchgemeinde, das Miteinander von Kollegen oder von Freunden. Macht sie mich froher und damit gesünder? Oder ist sie eher kränkend? Wie müssten wir uns zueinander verhalten, damit unser gemeinsames Leben heilsamer würde, als es oft ist?

Ich denke, es braucht dazu vor allem zwei einfache Dinge. Doch so einfach sie scheinen, so rar sind sie auch. Das eine ist die Bereitschaft, einander so sein zu lassen, wie wir sind. Das andere ist Zeit. Zeit ist eben nicht nur Geld. Zeit ist auch ein Beet, auf dem Geduld wachsen kann, Geduld mit sich selber und Geduld mit anderen. João zum Beispiel hat alle Zeit der Welt. Vielleicht ist es genau das, was Rélio bei ihm findet, wenn er Trost und Ruhe sucht.

2014/03/01

Cambine Kalender - März 2014


Vom Platz an der Sonne

Es ist ein großes Fest, wenn alljährlich in Eisenach der Sommergewinn gefeiert wird. Der Winter wird ausgetrieben und der Sommer wird eingeholt. Herr Winter und Frau Sunna liefern sich ein Streitgespräch. Und immer gewinnt die Sonne. So wie eben im Frühling die Wärme und das Licht den kalten und dunklen Winter besiegen. Und je länger und unangenehmer der Winter war, um so größer ist für den Mittel- oder Nordeuropäer die Sehnsucht nach einem Platz an der Sonne. Er ist der Inbegriff des Erstrebenswerten. Auf der Schattenseite des Lebens möchte dagegen keiner gerne länger bleiben müssen.

Ein Sprichwort wie das folgende wird in Europa deshalb zwangsläufig als Gemeinheit verstanden: „Ich kann nicht verhindern, dass die Sonne scheint. Aber ich kann dafür sorgen, dass mein Nachbar im Schatten sitzt.“ - Doch das ist ein Missverständnis. Das Kalenderbild für März zeigt, warum. Das Sprichwort hat seinen Ursprung im Süden dieser Welt, dort wo die Sonne viel häufiger und viel stärker scheint als im Norden. Was im Norden ein Platz an der Sonne ist, ist hier im Süden ein Schattenplatz.

Das Foto ist in einem Gottesdienst unter freiem Himmel entstanden. Man sieht, dass der Schatten fast senkrecht fällt. Die Gemeinde versammelt sich unter einem großen Baum. Doch weil sich die Erde dreht und ein afrikanischer Gottesdienst selten kürzer als drei Stunden dauert, bewegt sich der Schatten spürbar weiter. Wer grade noch im Kühlen saß, fängt auf einmal an zu schwitzen – und sucht sich einen anderen Platz. Wenn möglich. Dafür zu sorgen, dass mein Nachbar im Schatten sitzt, das ist hier in Afrika ganz und gar keine Gemeinheit. Das ist eine große Gefälligkeit, die ich jemandem tun kann!

Ich habe an diesem Beispiel gelernt, wie sehr sich unsere nördliche von der südlichen Kultur unterscheidet. Und dass diese Differenzen oft klimatische Ursachen haben. Die berühmte Siesta zum Beispiel. Wer in Deutschland könnte es sich erlauben, eine so ausgiebige Mittagspause einzulegen? Und wer unter der heißen Sonne des Südens könnte es sich wohl erlauben, sie nicht zu halten?

Oder ein anderes Beispiel: Im Ausland stehen Deutsche häufig in dem Ruf, sehr vorausschauend und zielstrebig an Aufgaben heranzugehen. Abgesehen davon, dass das ja auch nicht immer zutrifft, ist uns das jedenfalls nicht angeboren. Wir haben es über viele Generationen hinweg gelernt. Der nächste Winter kam bestimmt und wer nicht Vorsorge traf, wusste nicht, ob er den neuen Frühling noch erleben würde. Ich bin mir sicher: Könnten wir wie im Süden auch in deutschen Gärten rund ums Jahr irgend etwas ernten, um zu überleben, unsere Kultur wäre eine andere.

Also nicht gleich schimpfen, wenn dich jemand in den Schatten stellt. Es könnte sein, er meint es gut mit dir!


2014/02/10

Verunsichert

Im Gästehaus nebenan wohnt seit Kurzen eine Pastorin aus Südafrika. Sie soll für ein Jahr in Cambine bleiben. Am Seminar gibt sie Englisch und im Waisenhaus soll sie lernen, wie die Arbeit da so läuft. Die EmK in Südafrika möchte in absehbarer Zeit auch ein Waisenhaus eröffnen. Pastora Mabhe spricht noch kaum Portugiesisch. Und überhaupt ist ihr das Leben auf einem mosambikanischen Dorf noch ziemlich fremd. Für uns ist es schon ein seltsames Gefühl, wenn wir als Europäer einer Afrikanerin erklären, wie das so geht mit dem Alltagsleben in Cambine...

Die Unterschiede zwischen der Xhosa-Kultur und dem Lebensgefühl in Südafrika und unserem Leben auf dem mosambikanischen Dorf sind offenbar viel größer, als ich dachte. Das zeigte sich gestern. Am Nachmittag steht Pastora Mabhe ganz aufgelöst vor unserer Tür. Ich bin so verärgert, sagte sie, so verärgert! - Was war geschehen?

F., ein Lehrerkollege vom Theologischen Seminar - einer ihrer Studienkollegen an der Africa University in Simbabwe - hatte einem Englischlehrer an der Sekundarschule bescheid gesagt, dass da im Gästehaus eine Pastorin aus Südafrika wohnt, die noch nicht gut Portugiesisch spricht. Vielleicht könne er sie am Sonntag ja mal besuchen, dann könnten sie auf Englisch miteinander reden.

Gesagt, getan. Er steht also vor der Tür und ruft: Com licença? - Darf ich reinkommen? Pastora Mabhe gerät in helle Aufregung: Ein fremder Mann vor meiner Tür. Wer ist das? Was will er? Sie hat Angst. Auch als er sagt, dass er von F., ihrem Studienkollegen, geschickt worden sei, öffnet sie ihm die Tür nicht. So reden sie eine Weile durch die verschlossene Tür, bis der Fremde sich wieder verabschiedet. Erst nachdem er weg ist, wagt sie, die Tür zu öffnen und zu uns herüber zu kommen.

Das geht doch nicht, sagt sie. Ich bin verheiratet. Ein fremder Mann. Ich kann ihm doch nicht einfach die Tür öffnen. Ich bin an Gewalt und Kriminalität gewöhnt, da kann ich doch nicht einfach einem Fremden die Tür öffnen. - Auch nicht, wenn er sagt, F. habe ihn geschickt? - Nein, auch dann nicht! F. hätte mir bescheid sagen müssen. Ich bin so verärgert!

Sie bleibt eine Weile bei uns und wir reden. Schließlich kann sie über die Geschichte lachen und wird nun mit ihren Kollegen darüber reden. Doch wie groß muss die Unsicherheit und Bedrohung in ihrem alltäglichen Leben in Südafrika sein, dass sie so panisch reagiert, nur weil jemand vor der Tür steht, der ihr einen Begrüßungsbesuch abstatten möchte?

2014/02/01

Was ist los in Mosambik?

Vielleicht habt ihr euch schon gefragt, weshalb ich in den vergangenen Wochen so wenig geschrieben habe im Blog. Die Antwort lautet: Die allgemeine Lage war ziemlich unklar. Und im Blog wollte ich sie weder verharmlosen, noch dramatisieren. Drum zog ich es vor, zu schweigen.

Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, wenn um einen herum alles ganz normal zu sein scheint. Und doch weiß man, dass es das nicht ist. Die Läden sind gefüllt wie immer - mit Waren und mit Menschen. Die Preise sind nicht gestiegen. An den Tankstellen gab und gibt es keine Engpässe. Doch sobald man mit Menschen ins Gespräch kam, spürte man deutlich die Angst vor einem neuen Krieg. "Genau so fing das damals auch an", sagten viele und meinten den Beginn des 16-jährigen blutigen Bürgerkriegs, der erst 1992 endete.

"Was ist los in Mosambik?", fragte ich wiederholt Menschen, mit denen ich ins Gespräch kam. "Ist das jetzt noch Frieden oder schon Krieg?" Die Antworten fielen verschieden aus. Frieden konnte man es jedenfalls nicht nennen, wenn es immer wieder zu Kampfhandlungen zwischen Regierungssoldaten und RENAMO-Kämpfern kam. Und wenn immer wieder auch die Zivilbevölkerung angegriffen wurde. Die offizielle Sprachregelung lautete "politisch-militärische Spannungen". Viele der Menschen, mit denen ich sprach, drückten sich weniger diplomatisch aus und nannten die Situation schlicht Krieg.

Dabei wurde deutlich, wie stark die Wunden des letzten Krieges noch schmerzen. Die scheinbare Normalität des alltäglichen Lebens ist nur eine dünne Decke darüber. Homoine, eine Kleinstadt, vielleicht 30 km Luftlinie von Cambine entfernt, war der Ort, in dem es das wohl schlimmste Massaker jenes Krieges gab: über 400 Tote, umgebracht von den Rebellen der RENAMO. Dass vor Weihnachten ausgerechnet in Homoine wieder RENAMO-Kämpfer auftauchten, war ganz offensichtlich kein Zufall. Allein ihre Präsenz reichte aus, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. Und genau das scheint die Absicht gewesen zu sein.

Das war die Situation, in der auch wir überlegten, ob es nicht besser wäre, eine gepackte Tasche bereitstehen zu haben, um wenn nötig schnell nach Südafrika ausreisen zu können. Dazu ist es, Gott sei Dank!, nicht gekommen.

Und wie es jetzt aussieht, könnte es doch zu einer politischen Lösung des Konfliktes kommen. Die Kontrahenten haben sich auf einen Gesprächsprozess geeinigt. Die RENAMO will nicht länger die für den Herbst 2014 geplanten Wahlen boykottieren. Vorsichtige Zeichen einer Annäherung. Vielleicht hat sich doch die Einsicht durchgesetzt, dass mit einem erneuten Krieg alles bisher Erreichte auf dem Spiel steht. Und dass am Ende auch die ganz persönlichen Interessen der beiden Kontrahenten Staatspräsident Guebuza und RENAMO-Führer Dhlakama durch einen Krieg Schaden nehmen würden. Hoffen wir also, dass Einsicht und Verantwortung sich als stärker erweisen werden als ideologische Verhärtungen des Denkens, die beiden nicht fremd ist. 

Die Poltikwissenschaftlerin Katarina Hoffmann ist Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Maputo. Auf der Webseite "Internationale Politik und Gesellschaft" hat sie eine Analyse veröffentlicht, die aus meiner Sicht die Situation sehr zutreffend beschreibt, auch wenn sie darin auf die sich andeutende vorsichtige Entspannung noch nicht eingegangen ist. Hier geht es zu diesem Artikel.

Cambine Kalender - Februar 2014

Geld loswerden 

Unterwegs auf mosambikanischen Straßen bieten sich dem Reisenden vielfältige Gelegenheiten, sein Geld loszuwerden, freiwillige und unfreiwillige. An erster Stelle ist hier die Verkehrspolizei zu nennen. Die Zahl der Geschwindigkeitskontrollen hat in den vergangenen sechs Jahren enorm zugenommen. Aus Sicht der Polizei ist das eine ergiebige Einnahmequelle, denn die Fernstraßen sind gut ausgebaut. Es herrscht wenig Verkehr. Und nicht immer weiß man genau, ob man innerhalb oder außerhalb einer Ortschaft ist. Auch aus Sicht der Polizisten selber ist das ein lukratives Geschäft! Denn längst nicht immer ist sicher, dass das Bußgeld auch wirklich in die Staatskasse fließt. Es fällt auf, dass viele Verkehrspolizisten einen durchaus wohlgenährten Eindruck machen.

Verkäufer drängen sich um einen Bus
Doch auch freiwillig kann ich Geld ausgeben auf Mosambiks Straßen, oder genauer: an ihren Rändern. Man muss das gesehen haben, wie sich ganze Scharen von Verkäufern um einen Bus drängen, kaum dass er gehalten hat. Brötchen, gekochte Eier, Getränkedosen - alles mögliche wird dem Reisenden durch das Fenster gereicht. Und noch wenn der Bus schon wieder anfährt, laufen die Händler nebenher, um ihre Ware feilzubieten.

An einem Piri-Piri-Stand am Rand der N1 in Cumbana

Und von den Bancas muss man erzählen, den Verkaufsständen am Straßenrand. Sie bieten, was es halt so gibt. Ein Ort ist berühmt für seine scharfe Piri-Piri-Soßen. In einer anderen Region gibt es vor allem Cashew-Nüsse, den großen Beutel für 200, den kleinen für 100 Meticais. Auch Ziegen kann man kaufen, Hasen, Hühner, Schnitzereien, Palmwein oder Brennholz... Und je nach Jahreszeit Ananas, Apfelbananen, Mangos oder Passionsfrüchte. Meist sitzt irgendwo im Schatten ein Jugendlicher und döst und wartet, dass irgendwann jemand nicht nur vorbei fährt, sondern etwas kaufen möchte. Hält ein Auto an, ist er blitzartig hellwach kommt ans Auto und preist seine Ware an. Gut ist es bei dieser Art von Einkauf Kleingeld parat zu haben, denn an Wechselgeld fehlt es eigentlich immer in Mosambik.

Auch Frauen betreuen solche Stände am Wegesrand. Sie sieht man allerdings seltener dösen. Meist machen sie sich auf ihrem nahegelegenen Grundstück zu schaffen oder haben mit ihren Kindern zu tun. Hält ein Fahrzeug an, lassen sie alles stehen und liegen und rennen an die Straße. Das Geschäft können sie sich nicht entgehen lassen! Ich weiß nicht, wie viel so eine Händlerin am Tag verdient. Es werden keine großen Summen sein. Und doch: es wird sich lohnen, zumal wenn man an einer Hauptstraße wohnt, auf der Busse und LKWs und Touristen unterwegs sind. Jeder Metical, der einkommt, hilft die Familie ernähren. 


Wir kaufen gerne am Straßenrand. Bisher haben wir dabei keine schlechten Erfahrungen gemacht. Und wenn wir dann wieder in Deutschland sein werden? Ja, dann werden auch wir wieder im Supermarkt einkaufen, oder wenn möglich, auf dem Wochenmarkt. Doch in Gedanken werden wir am Straßenrand sein, irgendwo an der N1 im Süden Mosambiks.

2014/01/03

Cambine Kalender - Januar 2014



Sem água não há vida. Ohne Wasser gibt es kein Leben. - In Mosambik ist das keine Binsenweisheit, sondern ein geflügeltes Wort.

Man sagt es sich zum Beispiel beim Wasserholen am Fluss oder an der Quelle. Nur etwa 30% aller Haushalte in den ländlichen Gebieten Mosambiks hatten im Jahr 2011 einen direkten Zugang zu sauberem Trinkwasser. (Quelle: Instituto Nacional de Estatística, August 2012) Der Rest der Bevölkerung muss sich das Wasser mühsam selber ins Haus holen. Zwanzig, dreißig Minuten Fußweg ins Flusstal oder zur Pumpe sind keine Seltenheit. Dann mit zwanzig, dreißig Litern Wasser im Kanister auf dem Kopf den gleichen Weg zurück. Da überlegt man sich genau, wozu man diesen edlen Tropfen verwendet. 

Am Anfang unserer Zeit in Cambine musste unsere
Hausangestellte Dona Marta noch Wasser von der
fünf Minuten Fußweg entfernten Handpumpe holen.
Von ihrem Wohnhaus zur nächsten Quelle sind es etwa
zwanzig Minuten.

Doch es gibt auch ein Zuviel des Guten. Mosambik ist bekannt dafür, dass es immer wieder Hochwasser gibt. Dann wird das eigentlich wertvolle Nass zur Bedrohung für Leib und Leben. Das geschieht in kleinerem oder größerem Ausmaß immer wieder. Und das liegt nicht zuerst daran, dass die Regierung nichts tun würde, um die Bevölkerung zu schützen. 

Die Limpopo-Brücke bei Xai-Xai während des Hochwassers 2007.
Im Hintergrund das weite Limpopo-Tal.
 

Alle dunkel grün markierten Flächen liegen niedriger
als 100 m über dem Meeresspiegel.
Die Hochwasser in Mosambik haben ihre Ursache vor allem in der geographischen Situation des Landes. Alle größeren Flüsse kommen aus dem afrikanischen Hinterland. Sie haben zum Teil ein riesiges Einzugsgebiet. Und wenn es dort in der Regenzeit ausgiebige Niederschläge gibt, wälzen sich die Wassermassen gen Osten in Richtung Indischer Ozean. Und große Teile Mosambiks sind Küstenebenen mit einer Meereshöhe zwischen null und hundert Metern. Da läuft das Wasser in die Breite. Die Hochwasserschutzbauten, die nötig wären, um das zu verhindern, kann sich kein Land leisten, Mosambik schon gar nicht. So bleibt den Menschen in den weiten Flusstälern nahe der Küste nichts anderes, als mit dieser Realität zu leben. Dafür profitieren sie nach der Flut von den fruchtbaren Böden, die natürlich viel mehr abwerfen, als zum Beispiel der Sandboden hier in Cambine.

Paprikafeld in der Limpopoebene bei Chokwe. Die Stadt wurde vom
Januarhochwasser 2013 besonders stark in Mitleidenschaft gezogen.
Das Januarbild des Cambine Kalenders 2014 wurde vor einem Jahr, im Januar 2013, nahe der Stadt Xai-Xai (sprich: Schai-Schai) aufgenommen. Dort kreuzt die mosambikanische Hauptstraße N1 den Limpopo-Fluss. Knapp zehn Kilometer verläuft die Straße auf einem etwa drei Meter hohen aufgeschütteten Damm quer durch das breite Tal. Alle paar hundert Meter gibt es brückenartige Durchlässe für die Wassermassen. Als wir das Tal passierten, stand das Wasser schon einen oder anderthalb Meter unterhalb des Straßenniveaus. Und an den Durchlässen konnte man sehen, mit welcher Gewalt, das Wasser auf den Damm drückte. Überall waren Menschen dabei, sich selber und ihre Tiere in Sicherheit zu bringen, wie die Rinderherde auf dem Bild.

Wenige Stunden nachdem wir den Limpopo überquert hatten, wurde die Straße für einige Tage gesperrt. Der Druck auf den Damm war so groß geworden, dass einer der betonierten Durchlässe ausgespült wurde. Es musste eine Behelfsbrücke errichtet werden, die noch immer in Gebrauch ist. Im Moment ist man gerade dabei, eine neue Brücke zu bauen. Nun ist wieder Januar. Und es kann erneut anhaltende Niederschläge geben. Hoffen wir, dass es 2014 nicht wieder so dramatisch wird wie 2013.

2014/01/01

Cambine Kalender - Titelblatt

Afrikanische Sprichwörter. Manchmal kommen sie mir vor wie deutsche Bauernregeln. Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist. Wenn man nur sucht, findet man immer was Passendes. Und was heißt eigentlich 'afrikanisch' in diesem Zusammenhang? Morgenstund hat Gold im Mund. Da sagen wir doch auch, dass es ein deutsches Sprichwort ist und kein europäisches! Die nordafrikanischen Tuareg und die südafrikanischen Buschleute, haben sie nicht genau so ihre eigenen Kulturen wie, sagen wir, die Korsen und die Lappen in Europa? Ein wenig mehr differenzieren sollten wir schon , wenn wir über Afrika sprechen!
Doch zurück zu den Sprichwörtern. Da ist es eigenartig, dass die Afrikaner selber wenig differenzieren. Auch hier wird oft ganz allgemein von afrikanischen Sprichwörtern geredet. Wer zum Beispiel auf dem Oliver Tambo Airport in Johannesburg in ein Flugzeug steigt, liest dort an einer Wand in großen Lettern das Sprichwort, das wir für das Titelblatt des Cambine Kalenders 2014 ausgewählt haben. Und auch dort wird es schlicht als afrikanisches Sprichwort bezeichnet.

Willst du schnell gehen, gehe allein.
Willst du weit gehen, gehe mit anderen.
Schnell gehen? Ein Afrikaner tut das normalerweise nicht. In Afrika rennt man nur, wenn man flieht oder, weniger dramatisch, wenn man noch in den Bus will, der schon anfährt. Oder man treibt Sport. Aber normalerweise geht man langsam. Das ist ein Ausdruck von Würde. Und eine Folge der klimatischen Bedingungen. Die schwüle Hitze lässt die Bewegungen träge werden. Es geht gar nicht anders. Wer in Cambine schnell geht, fällt auf, joggende Europäer zum Beispiel. Manchmal laufen ihnen Kinder nach. Doch auch sie bleiben bald zurück. Wer schnell geht, wird schon deshalb bald allein unterwegs sein.
Weit gehen. Für einen Afrikaner ist das normal. Schon Schulanfänger haben oft einen Fußweg von einer Stunde oder mehr zu bewältigen. Oder Gilda, ein Mädchen, das aus dem Waisenhaus in ihre Familie zurückgekehrt ist, sie wohnt im Nachbarort. Täglich hat sie zwei mal anderthalb Stunden Fußweg zurückzulegen, auf wenig begangenen Pfaden quer durch den Busch. Auch zu Friedenszeiten ist das nicht ungefährlich. Wie gut, dass sie gemeinsam mit ihrer Cousine geht. So kann eine der anderen beistehen, wenn Hilfe nötig ist. 
Oder die Frauen, die mehrmals am Tag zur Wasserstelle gehen. Würdevoll schreiten sie aufrecht erhobenen Hauptes hintereinander her. Und wer abends nach Einbruch der Dunkelheit von einer Reise zurückkommt, muss oft die letzten Kilometer von der Hauptstraße in sein Dorf zu Fuß zurücklegen. Um diese Zeit ist kaum mehr ein Auto unterwegs. Von der Abzweigung nach Cambine bis ins Dorf sind es zehn Kilometer. Auch da ist es gut, wenn man nicht allein unterwegs ist.
Schnell gehen oder weit gehen? Auch für uns Europäer besteht das Leben nicht zuerst aus Rekorden. Wir vergessen das nur manchmal. Wir denken, es müsste immer alles schneller und effizienter werden. Doch wozu sollte ich mein Leben auf der Überholspur zubringen? Das Leben ist kein Sprint, den ich unter Aufbietung aller meiner Kräfte nur schnell hinter mich zu bringen hätte. Eher gleicht es einem Langstreckenlauf. Will ich das Ziel erreichen, muss ich meine Kräfte einteilen. Das fällt leichter, wenn ich weiß: Ich bin nicht allein unterwegs.
Ich finde diesen Gedanken auch in der Bibel. Jesus schickt seine Schüler weg. Sie sollen nicht bei ihm bleiben, sondern zu den Menschen gehen, sollen ihre Sorgen und Nöte teilen, Ungeister austreiben und Wunden heilen. Dabei sollen sie nichts mitnehmen: keinen Brotbeutel, keine Brieftasche, keine Kleidung zum Wechseln. Doch keinesfalls sollen sie allein unterwegs sein. Immer zu zweit. Und so gehen sie los, immer paarweise und niemals als Einzelgänger.
Auch wir sind bei der Jährlichen Konferenz 2007 zu zweit ausgesandt worden. Wir sind weit gegangen in den zurück liegenden Jahren, weiter als wir uns anfangs vorstellen konnten: zuerst zum Sprache lernen nach Braga, Portugal, dann zunächst nach Maputo und schließlich nach Cambine. Nun ist für September 2014 die Rückkehr nach Deutschland geplant. Auch wenn das Leben in der Fremde natürlich nicht immer einfach ist, sind wir sehr froh über die Erfahrungen, die wir sammeln durften. Den Weg der vergangenen sechs Jahre konnten auch wir nur gehen, weil wir nicht allein unterwegs waren: Verwandte und Freunde, die Kontakt zu uns gehalten haben oder die uns besuchen kamen. Unsere mosambikanischen Kolleginnen und Kollegen. Die Missionspartner aus den USA, aus Schweden, aus Deutschland. Wenn wir uns alle diese Gesichter in Erinnerung rufen, können wir nur dankbar sein - vor allem gegenüber Gott, der in alldem selber mit uns unterwegs ist.