2011/04/16

Wiedervereinigung

Eine E-Mail an unsere amerikanischen Missionspartner über neue Entwicklungen im Waisenhaus hat ziemlich viel Staub aufgewirbelt, besser gesagt: zu vielen Tränen gerührt. Dabei ist es eigentlich gar nicht traurig, was wir zu berichten hatten. Wir hatten davon geschrieben, dass in diesen Wochen bei einigen Kindern geklärt wird, ob sie in ihre Familien zurückkehren können. Nicht alle Kinder im Waisenhaus haben ihre gesamte Familie verloren.

Die Direktorin des Waisenhauses und die zuständige Vertreterin des regionalen Sozialamtes haben dazu die entsprechenden Familien zu Hause besucht. Bevor ein Kind das Heim verlässt, muss sichergestellt sein, dass es in gute Verhältnisse heimkehrt. Inzwischen sind die ersten zur Probe in die Familien zurückgekehrt.

In mehreren Gesprächen konnten wir inzwischen auch bei unseren amerikanischen Freunden Verständnis für diesen Prozess wecken. Denn eine gute Familienatmosphäre ist allemal besser als das schönste Heim. Doch ihre Einwände und Sorgen sind ernstzunehmen. Wie so viele in diesen Zeiten, sind sie sensibilisiert durch die vielen Fälle von Missbrauch. Wie können wir gewährleisten, dass die Kinder wirklich in eine gute Familie kommen? Werden sie auch weiterhin die Chance haben, zur Schule zu gehen, vielleicht auch auf eine weiterführende? Oder werden sie nur zur Arbeit auf dem Feld gebraucht. - Das sind berechtigte Fragen. Wir haben sie im Blick und tun alles, um den Kindern eine gute „Wiedervereinigung“ zu gewährleisten - so heißt das hier offiziell, wenn Kinder in ihre Familien zurückkehren.


São Paulo

Die methodistische Kirche in Brasilien hat viele Gemeinden in den städtischen Zentren wie zum Beispiel São Paulo. Allein in diesem Ballungszenterum leben mehr Menschen als in ganz Mosambik. Kein Wunder, dass es da zahlreiche soziale Probleme gibt. Seit inzwischen mehr als zehn Jahren widmet sich das Projekt „Schatten und frisches Wasser“ der Fürsorge für Kinder aus dem Umfeld der Gemeinden, oftmals aus sozial schwachen oder andersweitig prekären Verhältnissen. Nun hatten die Brasilianer Vertreter aus verschiedenen Partnerkirchen eingeladen, um gemeinsam zu prüfen, ob und wie dieses Projekt möglicherweise in anderen Ländern auch funktionieren könnte. In Mosambik wollen wir es versuchen. Hoffen und beten wir, dass sich engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden, die sich auf dieses Experiment einlassen.

Zur Information sei auf folgende Internetadressen verwiesen:
http://www.youtube.com/watch?v=KhyavfEvSMQ
Infovideo in Englisch

www.projetosombraeaguafresca.org.br
Projektwebsite in Portugiesisch
www.projetosombravilaplanalto.blogspot.com
Weblog einer Projektgruppe mit Fotos von unserem Besuch

Blick aus dem Fenster des Tagungszimmers im Gebäude der Kirchenleitung

Vier richtig gute Wochen

Lange geschwiegen. Aber viel erlebt. Und nicht über alles muss man berichten. Schon gar nicht gleich. - Andererseits: Ist der Faden erst mal abgerissen, fällt es schwer, ihn wieder aufzunehmen. Und es wird schwieriger, je länger man wartet, scheint mir. - Wo also anfangen?

Fangen wir bei uns selber an. Wir hatten Besuch. Ihr habt es gelesen. Der Blogeintrag vom 12. März stammt von Marei. Den ganzen März über war sie bei uns zu Besuch. War eine gute Zeit. Auch wenn wir an einer Stelle ein wenig neidisch wurden: Da Marei gut Spanisch spricht und versteht, konnte sie sich auf Anhieb ziemlich gut mit unseren Portugiesisch sprechenden Nachbarn verständigen. Wie schwer haben wir uns da anfangs getan – und tun es manchmal heute noch!

Doch auch die muttersprachlichen Unterhaltungen haben uns allen gut getan. Einfach mal wieder beisammen sitzen und direkt miteinander reden, ernst und albern, oder auch schweigen und Musik hören – das hat uns allen gut getan. So nützlich es ist, per Computer kostenlos zu telefonieren, so angenehm war es, nicht ständig fragen zu müssen: Hörst du mich? Verstehst du mich? - Und manche Themen brauchen Anlaufzeit, auf die kommt man einfach nicht auf die Schnelle bei einer rauschenden und ständig unterbrochenen Internetverbindung.

Für Marei war die Zeit auch deshalb eine sehr gute Erfahrung, weil Cambine diesmal voller junger Leute war - anders als bei ihrem ersten Besuch 2008. Besonders zu ihren Kolleginnen und Kollegen, den Studierenden am Theologischen Seminar, hat sie eine gute Beziehung gefunden. Sie nahm an allerlei Vorlesungen teil und auch in der Freizeit war sie oft mit den Studentinnen in unserem Nachbarhaus zusammen. Und auch die Kinder im Waisenhaus kamen nicht zu kurz.

Den gemeinsamen Geburtstag von Mutter und Tochter haben wir an unserem Lieblingsstrand gefeiert: in Pomene. Gebucht hatten wir eigentlich das Sunset Cottage – wunderschön am Nordende einer Landzunge gelegen. Doch als wir ankamen, stand das neu renovierte Haus schon nicht mehr. Der Sturm und das Meer hatten es sich geholt. Natürlich hatte man für uns ein anderes Cottage freigehalten. So konnten wir ein paar sehr entspannte Strandtage erleben.

Viel zu schnell waren die vier Wochen um, besonders für Thomas. Noch bevor Marei nach Deutschland aufbrach, reiste er dienstlich nach Brasilien. So kam es, dass Claudia nach über drei Jahren in Cambine zum ersten Mal allein zu Haus war. Zumindest in den ersten Tagen nach Mareis Rückreise konnten wir aber in engen E-Mail-Kontakt treten. So waren die Tage nicht ganz so lang für sie. Inzwischen hat uns freilich der Alltag wieder eingeholt. Davon mehr im nächsten Eintrag.



2011/03/12

Uma boa pessoa

"Warum ich?“ Diese Frage bekommt Tim Thomas in dem Film „Sieben Leben“ häufig gestellt. „Weil du ein guter Mensch bist.“ antwortet er dann.
Tim Thomas, die Hauptperson des Filmes, ist für einen Autounfall verantwortlich, bei dem sieben Menschen ihr Leben verlieren. Weil er mit dieser Schuld nicht leben kann oder will, beschließt er, sein Leben zu nehmen, um damit sieben andere durch Organspende zu retten. Mithilfe des Finanzamtausweises seines Bruders gelingt es ihm, verschiedene sehr kranke Menschen genau unter die Lupe zu nehmen. Er versucht, diese Menschen kennenzulernen und sich anhand dessen ein Urteil darüber zu bilden, ob er ausgerechnet ihr Leben mit dem seinen retten soll oder lieber doch ein anderes. „Warum ich?“ - „Weil du ein guter Mensch bist.“

Letzte Woche waren Claudia und ich im Gespräch mit einem Mitarbeiter eines Stoffgeschäftes in Maputo. Wir kamen auf den Besitzer des Ladens zu sprechen und es stellte sich heraus, dass auch der Baumarkt nebenan ihm gehöre. „Das muss aber ein reicher Mann sein!“ sagte Claudia. „Ja, ja – er ist eine sehr gute Person!“ erwiderte der junge Mitarbeiter. „Nein, ich meine, dass er viel Geld haben muss.“ versuchte Claudia das Missverständnis richtigzustellen. „Ja, er ist eine sehr gute Person. Er hat viel Erfolg und viel Geld. Gott ist auf seiner Seite – er muss eine gute Person sein!“ teilte uns der junge Mann mit. An seinem Ton wurde deutlich, dass er daran nicht im Geringsten zweifelte. „Naaajaaaa, da hab ich Zweifel.“ sagte Claudia und lachte. Verlegen lachte auch er und sagte leise in sich hinein: „Nein, das ist wirklich so...“.

Carlos Slim Helú war 2010 der reichste Mensch der Welt. Warum er? - Weil er eine gute Person ist?! Und Bill Gates? Ist der ein guter Mensch? Und der ärmste Mensch der Welt, dessen Name bei Wikipedia nicht angezeigt wird, ist er dann der schlechteste unter uns allen?
„Natürlich nicht!“ oder „Das können wir nicht ermessen!“ denken wir und damit ist die Sache für uns gegessen. Aber vom Tisch ist sie nicht, denn in einigen Teilen unserer Welt ist dieser Gedanke sehr populär. Reichtum wird mit dem moralischen Wert des Menschen und dem daraus resultierendem Segen Gottes gleichgesetzt. So skurril mir dieser Gedanke vorkommt, so plausibel erscheint er dem jungen Arbeiter, der am eigenen Leib zu spüren bekommt, dass man hart arbeiten muss, um es zu etwas zu bringen. „Entweder man klaut oder man arbeitet“, sagte er uns kurz zuvor. „Ich arbeite - ich will ein ehrlicher Mensch sein!“ Gerade angesichts der Armut ist es etwas Besonderes, reich zu sein. So besonders, dass es vielleicht schon göttlich ist. Oder zumindest scheint.
Marei Günther

2011/02/14

Zum Schreien! Aber gar nicht komisch.

Nun haben wir die kleine Laura also begraben. Die Anteilnahme im Dorf war groß. Das hat uns gut getan. „Sterblichkeit bei Kindern bis 1 Jahr“ - in den Statistiken der Weltgesundheitsorganisation WHO ist das eine Rubrik, die den internationalen Vergleich ermöglichen soll. Da liest man dann: Mosambik 104 von Tausend, Deutschland 4 von Tausend (CIA World Fact Book). Zunächst mal sind das Zahlen. Wir sind nun daran erinnert worden, dass hinter diesen Zahlen immer Schicksale stehen, Kinder, die sterben, Angehörige, die um sie trauern.

In einer E-Mail schrieb uns unser Sohn Manuel nach Lauras Tod: „Es ist einfach so unvorstellbar, wie viele tausendmal täglich sich genau das gleiche auf diesem riesigen Kontinent abspielt, ohne dass auch nur einer davon in Europa Kenntnis nimmt... Man müsste allen einen Namen geben. Ich finde es sehr gut, dass LAURA groß im Blog zu lesen ist!“ Unvorstellbar auch, dass im Krankenhaus nicht einmal die einfachsten Schmerzmittel vorrätig waren, von der medizintechnischen Ausstattung gar nicht zu reden.

Im krassen Kontrast dazu schreibt Manuel in seiner E-Mail dann weiter: „Im März werde ich einen Probeeinsatz machen bei einem weltweit operierenden Patientenrückholdienst mit Ambulanz-Lear-Jets. Ich werde einmal mitfliegen, um danach zu entscheiden, ob die Famulatur dort Sinn macht. Wenn alles gut geht, werde ich da im Sommer vier Wochen um die Welt fliegen und reiche Europäer nach Hause holen in einer fliegenden Intensivstation.“

Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir sind sehr froh, dass es diesen Service gibt! Denn „reiche Europäer“, das könnten im Notfall auch wir selber sein. Und trotzdem: Der Unterschied schreit zum Himmel. Nur: Wer hört diesen Schrei noch?

2011/02/09

keine heile Welt

„Ich will mich freuen über mein Volk. Nie mehr hört man dort lautes Weinen und Klagen. Dort gibt es keinen Säugling mehr, der nur wenige Tage lebt, und keinen Greis, der nicht das volle Alter erreicht; wer als hundertjähriger stirbt, gilt noch als jung...“ (Js 65:19-20)


Mit diesen starken Worten beschreibt der Prophet Jesaja seine Hoffnung auf eine von Gott geheilte Welt. Unsere Welt ist aber nicht heil und unsere Hoffnung ist angefochten.

Heute nachmittag, als Claudia und Maravilha bei ihr waren,
ist Laura im Krankenhaus Chicuque gestorben.
Ihr Leben währte 15 Monate.

Das macht uns betroffen und wir sind darüber sehr traurig. Wir legen ihr kurzes Leben in Gottes Hände und vertrauen darauf, dass sie bei ihm geborgen ist. Zugleich stellen wir uns viele Fragen. Noch ist es zu früh, um Antworten zu geben. Doch unsere Hoffnung stellt uns in die Verantwortung, was uns möglich ist zu tun, damit auch in Mosambik die Kindersterblichkeit weiter sinkt.

2011/02/07

Laura

Laura ist eines der Zwillingsmädchen aus dem Waisenhaus. Wer unseren letzten Freundesrundbrief in der Hand hatte, hat sie schon gesehen. Da tragen wir sie auf dem Arm. Leider geht es Laura im Moment ziemlich schlecht. Ich habe Angst, dass sie sterben wird.

Seit einer Woche hat sie Durchfall, der nicht zu stoppen ist. Seit Freitag liegt sie im Krankenhaus in Morrumbene. Weil die Pädiatrie vorgerichtet wird, liegt sie auf der Neugeborenenstation. „Station“ ist dabei schon ein zu großes Wort. Eher ist es ein großes Zimmer oder ein Saal, wie ich ihn noch aus meiner Lehrzeit in der Chirurgie kenne. Dort besuchen wir sie jeden Tag. Und jeden Tag kehre ich deprimierter nach Hause zurück. Zum Einen weil es Laura nicht wirklich besser geht, zum anderen schockiert mich, was ich dort erlebe. Dabei weiß ich ja, dass ich die medizinische Versorgung in Mosambik in keiner Weise mit der in Deutschland vergleichen kann.

Gestern starb während unseres Besuches ein Neugeborenes. Es wollte einfach zu früh auf diese Welt, im 7. Monat. Eine Intensivstation für Frühgeborene gibt es hier leider nicht. Während unseres Besuches heute starb ein Kind in Lauras Alter, 15 Monate. Die Mutter weinte zum Erbarmen. Und das alles in dem Saal, in dem auch die Mütter liegen, die frisch entbunden haben oder gar noch auf die Geburt warten. Ein anderes kleines Kind schwebt auch in großer Lebensgefahr. Es braucht dringend eine Blutkonserve, doch die benötigte Blutgruppe 0, Rhesusfaktor negativ, ist nicht vorrätig. Ich habe Blutgruppe 0, aber Rhesusfaktor positiv, konnte also leider auch nicht helfen.

Doch neben diesen der Armut geschuldeten notvollen Verhältnissen gibt es auch Dinge, die man ohne viel Geld ausgeben zu müssen, besser machen könnte oder müsste. Die nötigsten Anforderungen der Hygiene einhalten, zum Beispiel. Der Nachtschrank neben Lauras Bett war nicht nur voller Staub, sondern regelrecht verdreckt. Der allgegenwärtige rote mosambikanische Sand. Als ich ihn wegwischte, meinte meine Begleiterin: Jetzt ist es wieder schön. Dass es mir nicht um Schönheit ging, sondern um Hygiene, war ihr nicht bewusst.

Oder die Ernährung: Hier ist es ja so, dass das Pflegepersonal nur für die medizinische Versorgung zuständig ist. Alle Tätigkeiten, die darüber hinausgehen, erledigen bei Kindern die Mütter, bei erwachsenen Patienten andere Angehörige: waschen, Essen bereiten, gegebenenfalls füttern oder Windeln wechseln... Wenn die Schwestern die Angehörigen wenigstens beraten würden! Die Mütter z.B. darüber aufklären, was sie den Kindern bei Durchfall geben sollen. Ich habe den Eindruck, selbst das geschieht nicht. Ich wollte Laura eine reife, zerdrückte Banane geben. Die diensthabende Schwester hat es untersagt. Und auch meine Begleiterinnen glauben mir nicht, dass Banane besser als Joghurt ist. Ach, ich fühl mich so richtig hilflos!

Eines freilich bleibt mir: Ich bete zu Gott, dass er Laura trotz all dieser widrigen Bedingungen helfen kann. Und wer von Euch auch dazu in der Lage ist, möge bitte dasselbe tun.


Im Krankenhaus Morrumbene warten Menschen auf Behandlung