"Warum ich?“ Diese Frage bekommt Tim Thomas in dem Film „Sieben Leben“ häufig gestellt. „Weil du ein guter Mensch bist.“ antwortet er dann.
Tim Thomas, die Hauptperson des Filmes, ist für einen Autounfall verantwortlich, bei dem sieben Menschen ihr Leben verlieren. Weil er mit dieser Schuld nicht leben kann oder will, beschließt er, sein Leben zu nehmen, um damit sieben andere durch Organspende zu retten. Mithilfe des Finanzamtausweises seines Bruders gelingt es ihm, verschiedene sehr kranke Menschen genau unter die Lupe zu nehmen. Er versucht, diese Menschen kennenzulernen und sich anhand dessen ein Urteil darüber zu bilden, ob er ausgerechnet ihr Leben mit dem seinen retten soll oder lieber doch ein anderes. „Warum ich?“ - „Weil du ein guter Mensch bist.“
Letzte Woche waren Claudia und ich im Gespräch mit einem Mitarbeiter eines Stoffgeschäftes in Maputo. Wir kamen auf den Besitzer des Ladens zu sprechen und es stellte sich heraus, dass auch der Baumarkt nebenan ihm gehöre. „Das muss aber ein reicher Mann sein!“ sagte Claudia. „Ja, ja – er ist eine sehr gute Person!“ erwiderte der junge Mitarbeiter. „Nein, ich meine, dass er viel Geld haben muss.“ versuchte Claudia das Missverständnis richtigzustellen. „Ja, er ist eine sehr gute Person. Er hat viel Erfolg und viel Geld. Gott ist auf seiner Seite – er muss eine gute Person sein!“ teilte uns der junge Mann mit. An seinem Ton wurde deutlich, dass er daran nicht im Geringsten zweifelte. „Naaajaaaa, da hab ich Zweifel.“ sagte Claudia und lachte. Verlegen lachte auch er und sagte leise in sich hinein: „Nein, das ist wirklich so...“.
Carlos Slim Helú war 2010 der reichste Mensch der Welt. Warum er? - Weil er eine gute Person ist?! Und Bill Gates? Ist der ein guter Mensch? Und der ärmste Mensch der Welt, dessen Name bei Wikipedia nicht angezeigt wird, ist er dann der schlechteste unter uns allen?
„Natürlich nicht!“ oder „Das können wir nicht ermessen!“ denken wir und damit ist die Sache für uns gegessen. Aber vom Tisch ist sie nicht, denn in einigen Teilen unserer Welt ist dieser Gedanke sehr populär. Reichtum wird mit dem moralischen Wert des Menschen und dem daraus resultierendem Segen Gottes gleichgesetzt. So skurril mir dieser Gedanke vorkommt, so plausibel erscheint er dem jungen Arbeiter, der am eigenen Leib zu spüren bekommt, dass man hart arbeiten muss, um es zu etwas zu bringen. „Entweder man klaut oder man arbeitet“, sagte er uns kurz zuvor. „Ich arbeite - ich will ein ehrlicher Mensch sein!“ Gerade angesichts der Armut ist es etwas Besonderes, reich zu sein. So besonders, dass es vielleicht schon göttlich ist. Oder zumindest scheint.
Marei Günther