2011/04/28

Geld ist Zeit

Manchmal frage ich mich schon: Wo lebe ich eigentlich? Klar, ich weiß natürlich, dass das ländliche Afrika, in dem wir leben, nicht so hoch entwickelt ist, wie z.B. Mitteleuropa oder Nordamerika. Aber mitunter schüttele ich trotzdem den Kopf. Was in moderneren Gesellschaften automatisch läuft, per Dauerauftrag oder Onlinebanking, verursacht hier noch immer Menschenaufläufe. Zum Beispiel das Bezahlen der Stromrechnung.

Natürlich, Strom ist hier viel billiger als in Deutschland. Wir zahlen so um die zehn Euro - im Monat. Aber um dieses Geld loszuwerden, müssen wir fünfzehn Kilometer in die nächste Ortschaft fahren und es im Büro des Energieversorgers bar einzahlen. Die Rechnung wird niemals vor dem 20. oder 21. des Monats ausgetragen. Bis Monatsende muss sie aber spätestens bezahlt sein. Am Wochenende hat das Büro sowieso geschlossen und nachmittags braucht man da auch nicht mehr hingehen. Da ist die Warteschlange so lang, dass man an diesem Tag eh nicht mehr dran kommt.

Chico, ein Bekannter, hat gestern seine Rechnung bezahlt. Früh um acht kam er beim Büro an. Da musste er sich schon hinten an die Warteschlange stellen. Die ersten seien seien seit früh um fünf dagewesen. Er hat nur bis halb zwölf warten müssen. Die nach ihm kamen, mussten wohl bis nach mittag anstehen.

Claudia war heute dort. Sie hatte die Rechnung für das Waisenhaus zu begleichen. „Normalerweise“, sagte sie, „hätte ich noch länger als Chico warten müssen. Aber ich bin einfach in das Büro hineingegangen und habe einen Angestellten gefragt, ob es denn nicht möglich sei, das Geld monatlich zu überweisen. So eine große Firma muss doch ein Konto haben. Das muss doch möglich sein.“ Nein, erwiderte der Stromer kühl, das sei nicht möglich. „Aber jetzt, wo ich einmal hier bin, kann ich da nicht wenigstens gleich meine Rechnung bezahlen? Ich komme vom Waisenhaus in Cambine, ich kann jetzt keine drei Stunden hier warten, fünfzig Kinder...“ „Die sitzen da und heulen, stimmt's?“ erwiderte der Stromer, grinste und nahm das Geld entgegen. So kam es, dass Claudia diesmal davon kam, ohne lange warten zu müssen. Bald ist allerdings wieder die Internetrechnung fällig. Auch da müssen wir persönlich erscheinen...

Zeit ist Geld. Dieser Satz gilt in Mosambik nicht unbedingt. Aber Geld loswerden, das kann einen hier ziemlich viel Zeit kosten.

2011/04/25

Gießen muss sein

Wir sind wirklich froh, dass es nicht mehr so heiß ist! Wenn wir in diesen österlichen Tagen abends auf der Terrasse saßen, mussten wir sogar schon mal die Fleecejacke oder den Pullover rausholen - für uns ein angenehmes Gefühl. Tagsüber ist es allerdings noch immer ziemlich warm, so dass wir trotz allem abends gießen müssen.

Meist übernimmt das Claudia, vermutlich auch weil sie mit den Pflanzen stille Zwiesprache hält. Ich bin dann für's ordentliche Aufrollen und Wegräumen des Schlauchs zuständig.

2011/04/22

Karfreitag in Cambine

In Mosambik ist Karfreitag kein eigentlicher Feiertag. Ab Mittag gilt er als „tolerancia“, das heißt, wer mag, kann seinen Arbeitsplatz verlassen. Wenn er halt einen hat. Die meisten Einwohner von Cambine haben aber keinen festen Arbeitsplatz – außer ihrem Feld. Darum kann das kirchliche Programm über Ostern reichhaltig sein.

Es beginnt mit dem Abendmahlsgottesdienst am Gründonnerstag nachmittag. Für Karfreitag früh um sieben ist Gottesdienst angesetzt. Um zehn im Theologischen Seminar ein bibelkundlicher Vortrag: Warum feiern wir Ostern? 11 Uhr folgt das Passionsspiel der Jugend. Und anschließend soll die Gemeinde noch bis gegen 15 Uhr in der Kirche bleiben, um zu singen und zu beten.

In der Nacht zum Ostersonntag ziehen Gemeindeglieder laut singend von Haus zu Haus. So verbreiten sie die frohe Kunde von der Auferstehung des Herrn. Um halb acht beginnt der Gemeindegottesdienst. Da wird nicht nur Kollekte gesammelt und das Evangelium verkündigt werden. Es werden auch Kinder und Erwachsene getauft, andere werden eingesegnet werden. Vier Stunden wird der Gottesdienst deshalb ganz sicher dauern.

Ja, die liturgische Tradition hier ist ziemlich anders, als wir es von Deutschland her gewohnt sind. Besonders deutlich wird das am Karfreitag. In Cambine ist das kein stiller Tag, jedenfalls nicht in der Kirche. Die Halleluja-Gesänge hören wir bis in unser Haus. Und ein Programm von früh um sieben bis nachmittag um drei, das ist in Deutschland an Karfreitag auch nur schwer vorstellbar.

Allerdings scheint das in Cambine etlichen Kirchengliedern ähnlich zu gehen. Zum Gottesdienst heute morgen musste zwei Mal geläutet werden. Offenbar waren beim ersten Mal zu wenige erschienen. Und auch der Vortrag nach dem Gottesdienst war im Vergleich zu einem normalen Sonntagsgottesdienst eher schwach besucht. Das Passionspiel wurde kurzfristig von 11 auf 14 Uhr verschoben. Vielleicht verspricht man sich damit einen besseren Besuch.

Wir allerdings werden dann nicht dabei sein. Wir wollen unserer Tradition treu bleiben und Bachs Matthäuspassion lauschen.

2011/04/17

Hosanna, Halleluja, Amen!

Gottesdienst am Palmsonntag. Wie immer beginnt er verspätet. Aber darüber verliert keiner ein Wort. Das ist normal. Und außerdem will sich niemand die Freude verderben lassen. Palmsonntag, das ist hier der Sonntag der Zweige, der Palmzweige. Kaum einer, der ohne erscheint. Und damit wird dann auch kräftig gewedelt. Und Hosanna gerufen, Halleluja, Amen, dass es in der Kirche nur so widerhallt! Man feiert den Einzug Jesu nach Jerusalem. Und man feiert ihn lautstark und fröhlich.
Palmsonntag scheint hier wichtiger als Ostern, auch wenn die Jesusbegeisterung in Jerusalem damals nicht lange anhielt...
Ich freu mich auf den Ostermorgen. Ob der Gottesdienst dann auch so lebendig sein wird? Vielleicht halte ich dann einen Palmwedel in der Hand - zum Zeichen dafür, dass Jesus erst am Ostermorgen wirklich auf einen grünen Zweig kam.

Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt,
Keim, der aus dem Acker in den Morgen dringt,
Liebe lebt auf, die längst verloren schien:
Liebe wächst wie Weizen
und ihr Halm ist grün.

Über Gottes Liebe brach die Welt den Stab,
wälzte ihren Felsen vor der Liebe Grab.
Jesus ist tot. Wie sollte er noch fliehn?
Liebe wächst wie Weizen
und ihr Halm ist grün.

Im Gestein verloren Gottes Samenkorn
unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn -
hin ging die Nacht, der dritte Tag erschien:
Liebe wächst wie Weizen
und ihr Halm ist grün.
(John Macleod Campbell/Jürgen Henkys)



Cambine: im Gottesdienst am Palmsonntag

2011/04/16

Von Geld und Geldern

Seit zwei Monaten haben die Lehrer und die Angestellten am Theologischen Seminar kein Gehalt bekommen. Wieder mal. Dabei liegt es nicht daran, dass die Gemeindeglieder zu wenig spenden würden. Das Geld kommt ohnehin aus den USA. Die Partner dort haben es rechtzeitig überwiesen. Gehälter haben für die Unterstützergemeinden oberste Priorität. Sie wissen, dass kaum einer der kirchlichen Angestellten in Mosambik ein Guthaben hat, mit dem er eine gewisse Zeit ohne Einkünfte überbrücken könnte. Und trotzdem kommt das Geld nicht an. Jedenfalls nicht pünktlich. Irgendwo klemmt es im kirchlichen Apparat.

Und wie kommen die Menschen über die Zeit ohne Einkommen? Es gibt welche, die haben ein zweites Einkommen. Pastoren, die nebenbei als Lehrer arbeiten, z.B. Wer das nicht kann, eröffnet eine „Xitike“. Das ist kleine Genossenschaftsbank unter Freunden, sozusagen. Wer gerade Geld hat, stellt es allen zur Verfügung.Und wenn er dann mal keines hat, profitiert er von dem der anderen. Oder er lebt von dem, was auf seinem Feld wächst. Und wenn das eben Maniok und Mais ist, dann gibt es eben jeden Tag Maniok und Mais. Und wenn es nicht geregnet hat? Dann sieht es schlecht aus. Dann fallen Mahlzeiten auch mal für gewisse Zeit aus. Und irgendwann kommt dann auch das Geld. Bisher jedenfalls war es immer so.

Auch die Mittel für das Waisenhaus kommen aus dem Ausland, aus Schweden und den USA. Ohne diese Hilfe wäre die mosambikanische Kirche nicht in der Lage, das Waisenhaus zu betreiben. Die Gelder werden in US-Dollars überwiesen. Das ist gut, solange der Dollarkurs zum Metical gut steht. Dann reicht die monatliche Überweisung, um alles zu bezahlen, was anfällt. Meistens jedenfalls. Jetzt aber steht der Dollarkurs schlecht: knapp 31 Meticais bekommen wir für einen Dollar Da reicht die reguläre Überweisung hinten und vorne nicht, zumal auch die Preise kontinuierlich steigen. Allein dank zusätzlicher Mittel, die wir aus der privaten Harry-Chapin-Stiftung (eines verstorbenen Folk-Sängers aus den USA) erhalten, können wir uns im Moment über Wasser halten. Die Angestellten im Waisenhaus erhalten ihre Gehälter jedenfalls pünktlich. Verglichen mit den anderen ist das schon fast Luxus.

Wiedervereinigung

Eine E-Mail an unsere amerikanischen Missionspartner über neue Entwicklungen im Waisenhaus hat ziemlich viel Staub aufgewirbelt, besser gesagt: zu vielen Tränen gerührt. Dabei ist es eigentlich gar nicht traurig, was wir zu berichten hatten. Wir hatten davon geschrieben, dass in diesen Wochen bei einigen Kindern geklärt wird, ob sie in ihre Familien zurückkehren können. Nicht alle Kinder im Waisenhaus haben ihre gesamte Familie verloren.

Die Direktorin des Waisenhauses und die zuständige Vertreterin des regionalen Sozialamtes haben dazu die entsprechenden Familien zu Hause besucht. Bevor ein Kind das Heim verlässt, muss sichergestellt sein, dass es in gute Verhältnisse heimkehrt. Inzwischen sind die ersten zur Probe in die Familien zurückgekehrt.

In mehreren Gesprächen konnten wir inzwischen auch bei unseren amerikanischen Freunden Verständnis für diesen Prozess wecken. Denn eine gute Familienatmosphäre ist allemal besser als das schönste Heim. Doch ihre Einwände und Sorgen sind ernstzunehmen. Wie so viele in diesen Zeiten, sind sie sensibilisiert durch die vielen Fälle von Missbrauch. Wie können wir gewährleisten, dass die Kinder wirklich in eine gute Familie kommen? Werden sie auch weiterhin die Chance haben, zur Schule zu gehen, vielleicht auch auf eine weiterführende? Oder werden sie nur zur Arbeit auf dem Feld gebraucht. - Das sind berechtigte Fragen. Wir haben sie im Blick und tun alles, um den Kindern eine gute „Wiedervereinigung“ zu gewährleisten - so heißt das hier offiziell, wenn Kinder in ihre Familien zurückkehren.


São Paulo

Die methodistische Kirche in Brasilien hat viele Gemeinden in den städtischen Zentren wie zum Beispiel São Paulo. Allein in diesem Ballungszenterum leben mehr Menschen als in ganz Mosambik. Kein Wunder, dass es da zahlreiche soziale Probleme gibt. Seit inzwischen mehr als zehn Jahren widmet sich das Projekt „Schatten und frisches Wasser“ der Fürsorge für Kinder aus dem Umfeld der Gemeinden, oftmals aus sozial schwachen oder andersweitig prekären Verhältnissen. Nun hatten die Brasilianer Vertreter aus verschiedenen Partnerkirchen eingeladen, um gemeinsam zu prüfen, ob und wie dieses Projekt möglicherweise in anderen Ländern auch funktionieren könnte. In Mosambik wollen wir es versuchen. Hoffen und beten wir, dass sich engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden, die sich auf dieses Experiment einlassen.

Zur Information sei auf folgende Internetadressen verwiesen:
http://www.youtube.com/watch?v=KhyavfEvSMQ
Infovideo in Englisch

www.projetosombraeaguafresca.org.br
Projektwebsite in Portugiesisch
www.projetosombravilaplanalto.blogspot.com
Weblog einer Projektgruppe mit Fotos von unserem Besuch

Blick aus dem Fenster des Tagungszimmers im Gebäude der Kirchenleitung

Vier richtig gute Wochen

Lange geschwiegen. Aber viel erlebt. Und nicht über alles muss man berichten. Schon gar nicht gleich. - Andererseits: Ist der Faden erst mal abgerissen, fällt es schwer, ihn wieder aufzunehmen. Und es wird schwieriger, je länger man wartet, scheint mir. - Wo also anfangen?

Fangen wir bei uns selber an. Wir hatten Besuch. Ihr habt es gelesen. Der Blogeintrag vom 12. März stammt von Marei. Den ganzen März über war sie bei uns zu Besuch. War eine gute Zeit. Auch wenn wir an einer Stelle ein wenig neidisch wurden: Da Marei gut Spanisch spricht und versteht, konnte sie sich auf Anhieb ziemlich gut mit unseren Portugiesisch sprechenden Nachbarn verständigen. Wie schwer haben wir uns da anfangs getan – und tun es manchmal heute noch!

Doch auch die muttersprachlichen Unterhaltungen haben uns allen gut getan. Einfach mal wieder beisammen sitzen und direkt miteinander reden, ernst und albern, oder auch schweigen und Musik hören – das hat uns allen gut getan. So nützlich es ist, per Computer kostenlos zu telefonieren, so angenehm war es, nicht ständig fragen zu müssen: Hörst du mich? Verstehst du mich? - Und manche Themen brauchen Anlaufzeit, auf die kommt man einfach nicht auf die Schnelle bei einer rauschenden und ständig unterbrochenen Internetverbindung.

Für Marei war die Zeit auch deshalb eine sehr gute Erfahrung, weil Cambine diesmal voller junger Leute war - anders als bei ihrem ersten Besuch 2008. Besonders zu ihren Kolleginnen und Kollegen, den Studierenden am Theologischen Seminar, hat sie eine gute Beziehung gefunden. Sie nahm an allerlei Vorlesungen teil und auch in der Freizeit war sie oft mit den Studentinnen in unserem Nachbarhaus zusammen. Und auch die Kinder im Waisenhaus kamen nicht zu kurz.

Den gemeinsamen Geburtstag von Mutter und Tochter haben wir an unserem Lieblingsstrand gefeiert: in Pomene. Gebucht hatten wir eigentlich das Sunset Cottage – wunderschön am Nordende einer Landzunge gelegen. Doch als wir ankamen, stand das neu renovierte Haus schon nicht mehr. Der Sturm und das Meer hatten es sich geholt. Natürlich hatte man für uns ein anderes Cottage freigehalten. So konnten wir ein paar sehr entspannte Strandtage erleben.

Viel zu schnell waren die vier Wochen um, besonders für Thomas. Noch bevor Marei nach Deutschland aufbrach, reiste er dienstlich nach Brasilien. So kam es, dass Claudia nach über drei Jahren in Cambine zum ersten Mal allein zu Haus war. Zumindest in den ersten Tagen nach Mareis Rückreise konnten wir aber in engen E-Mail-Kontakt treten. So waren die Tage nicht ganz so lang für sie. Inzwischen hat uns freilich der Alltag wieder eingeholt. Davon mehr im nächsten Eintrag.