2014/03/01

Cambine Kalender - März 2014


Vom Platz an der Sonne

Es ist ein großes Fest, wenn alljährlich in Eisenach der Sommergewinn gefeiert wird. Der Winter wird ausgetrieben und der Sommer wird eingeholt. Herr Winter und Frau Sunna liefern sich ein Streitgespräch. Und immer gewinnt die Sonne. So wie eben im Frühling die Wärme und das Licht den kalten und dunklen Winter besiegen. Und je länger und unangenehmer der Winter war, um so größer ist für den Mittel- oder Nordeuropäer die Sehnsucht nach einem Platz an der Sonne. Er ist der Inbegriff des Erstrebenswerten. Auf der Schattenseite des Lebens möchte dagegen keiner gerne länger bleiben müssen.

Ein Sprichwort wie das folgende wird in Europa deshalb zwangsläufig als Gemeinheit verstanden: „Ich kann nicht verhindern, dass die Sonne scheint. Aber ich kann dafür sorgen, dass mein Nachbar im Schatten sitzt.“ - Doch das ist ein Missverständnis. Das Kalenderbild für März zeigt, warum. Das Sprichwort hat seinen Ursprung im Süden dieser Welt, dort wo die Sonne viel häufiger und viel stärker scheint als im Norden. Was im Norden ein Platz an der Sonne ist, ist hier im Süden ein Schattenplatz.

Das Foto ist in einem Gottesdienst unter freiem Himmel entstanden. Man sieht, dass der Schatten fast senkrecht fällt. Die Gemeinde versammelt sich unter einem großen Baum. Doch weil sich die Erde dreht und ein afrikanischer Gottesdienst selten kürzer als drei Stunden dauert, bewegt sich der Schatten spürbar weiter. Wer grade noch im Kühlen saß, fängt auf einmal an zu schwitzen – und sucht sich einen anderen Platz. Wenn möglich. Dafür zu sorgen, dass mein Nachbar im Schatten sitzt, das ist hier in Afrika ganz und gar keine Gemeinheit. Das ist eine große Gefälligkeit, die ich jemandem tun kann!

Ich habe an diesem Beispiel gelernt, wie sehr sich unsere nördliche von der südlichen Kultur unterscheidet. Und dass diese Differenzen oft klimatische Ursachen haben. Die berühmte Siesta zum Beispiel. Wer in Deutschland könnte es sich erlauben, eine so ausgiebige Mittagspause einzulegen? Und wer unter der heißen Sonne des Südens könnte es sich wohl erlauben, sie nicht zu halten?

Oder ein anderes Beispiel: Im Ausland stehen Deutsche häufig in dem Ruf, sehr vorausschauend und zielstrebig an Aufgaben heranzugehen. Abgesehen davon, dass das ja auch nicht immer zutrifft, ist uns das jedenfalls nicht angeboren. Wir haben es über viele Generationen hinweg gelernt. Der nächste Winter kam bestimmt und wer nicht Vorsorge traf, wusste nicht, ob er den neuen Frühling noch erleben würde. Ich bin mir sicher: Könnten wir wie im Süden auch in deutschen Gärten rund ums Jahr irgend etwas ernten, um zu überleben, unsere Kultur wäre eine andere.

Also nicht gleich schimpfen, wenn dich jemand in den Schatten stellt. Es könnte sein, er meint es gut mit dir!