Wohin
mit der blauen Hose, die nicht mehr passt? Und was tun mit dem
Mantel, der seit Jahren ungetragen im Schrank hängt? Einfach in die
Mülltonne damit? Dann doch lieber spenden. Aber: Erreicht die Spende
die bedürftigen Menschen wirklich, oder
werden dubiose Geschäfte damit gemacht?
Und hat man nicht immer wieder davon gehört, dass unsere Altkleider
in Afrika die einheimische Textilindustrie
zerstören?
In der Tat ist vieles
undurchsichtig, was mit gesammelter Kleidung passiert. Dabei wächst
der Altkleiderberg ständig. 750 000 Tonnen kamen 2011 hierzulande in
die Sammlungen. Das sind 47 000 Lkw-Ladungen, eine gigantische
Schlange von Kiel bis München. Es ist viel mehr, als hiesige
Sozialkaufhäuser und Kleiderkammern
brauchen. Gebrauchtkleidung wird deshalb exportiert: nach Osteuropa,
in den Nahen und Mittleren Osten und nach Afrika. Die Weltbevölkerung
wächst, und viele Menschen können nur über Secondhand an
bezahlbare gute Kleidung kommen.
»Dem Überfluss hier
steht eine weltweite steigende Nachfrage gegenüber« konstatiert
Andreas Voget, Geschäftsführer des
Dachverbands FairWertung. Kirchennahe und gemeinnützige
Organisationen haben FairWertung 1994 gegründet, um mehr Transparenz
ins Altkleidergeschäft zu bringen. Der Dachverband hat Standards für
faires und verantwortliches Sammeln und Verwerten von
Gebrauchtkleidung entwickelt. Organisationen, die sich verpflichten,
diese Grundsätze einzuhalten, dürfen mit dem Namen und Zeichen von
Fair-Wertung für ihre Kleidersammlungen werben. Außerdem erforscht
der Dachverband, der selbst keine Kleidersammlungen durchführt,
welche Auswirkungen Altkleiderimporte in Afrika haben.
Dass europäische
Secondhand-Kleidung die Textilmärkte in Afrika zerstört hat, ist
laut FairWertung eine Mär. Diese oftmals erzählte Geschichte sei in
den 1990er-Jahren entstanden und schon damals falsch gewesen, sagt
Voget. Trotzdem werde sie immer wieder aufgewärmt, auch im
Fernsehen. So strahlte die ARD im November 2011 zur besten Sendezeit
den Report »Die Altkleiderlüge« aus. Anfang Januar wurde sie vom
NDR wiederholt. Suggestive Bilder aus Daressalam, der brodelnden
Hafenstadt Tansanias, werden mit einer ziemlich einfach gestrickten
Erzählung verknüpft. Deutsche Altkleiderspenden hätten
»größtmöglichen Schaden angerichtet« und die heimische
Textilindustrie »in eine schreckliche Katastrophe gestürzt«. Die
Beweisführung für diese These stützt sich dabei jedoch nur auf
einen einzigen Informanten, der die Reporter zu seinen zahlreichen
Bekannten führt. Ob diese glaubwürdig sind, bleibt ungefragt und
ungeprüft. Bei seriösen Quellen, zum Beispiel. bei Wirtschafts- und
Entwicklungsexperten oder Gewerkschaftern, recherchieren die Reporter
nicht.
Empörung - aber falsche
Fakten
Obwohl man sich nach
diesem Film moralisch sehr empört fühlt: Anders als deutsche
Geflügelteile oder europäisches Milchpulver zerstört der Export
von Gebrauchtkleidung in Afrika keine heimischen Märkte. In Kamerun
etwa und in vielen anderen afrikanischen Ländern hat es nie einen
eigenständigen Textilsektor gegeben, der ohne staatliche
Subventionen und Importbeschränkungen hätte überleben können. In
Tansania und Kenia gab es zwar eine Textilindustrie, aber sie lag
überwiegend in chinesischen Händen. Damals galt noch das GATT, ein
Vorläufer der Welthandelsorganisation WTO, und es gab feste Quoten
für den Export. In afrikanischen Ländern, die ihre Exportquoten
nicht ausnutzten, machten sich chinesische Unternehmen diese
Situation zunutze und bauten dort eine Textilindustrie auf. Als die
WTO die Quoten außer Kraft setzte, brach diese künstlich
aufgeblasene Industrie zusammen.
Anfang der 1980er-Jahre
forderten der Internationale Währungsfonds und die Weltbank von
vielen Regierungen im Rahmen der Programme zur Ent- und Umschuldung,
ihre Subventionen und Importverbote für die Textilindustrie fallen
zu lassen. Diesen Einschnitt überlebten die meisten Produzenten
nicht.
Aber auch schon davor war
diese Industrie in Afrika von Materialausfällen, Strom-und
Wassermangel geplagt und konnte besonders die ärmeren Menschen nicht
ausreichend mit guter und bezahlbarer
Kleidung versorgen.
Entwicklungsexperte
Francisco Mari, Referent des Evangelischen Entwicklungsdienstes,
befürwortet den Handel mit gebrauchter Kleidung inzwischen
ausdrücklich. Viele Menschen erwirtschafteten sich damit einen
kleinen Verdienst. »Beim Importeur im Hafen kostet ein Hemd 70 Cent,
später auf dem Markt 1,50 Euro«, berichtet Mari aus Tansania.
»Dazwischen liegen einige Schritte, bei denen verschiedene Menschen
jeweils zehn bis zwanzig Cent verdienen.« Da ist die Schneiderin,
die mit ihrer Nähmaschine große, wenig
attraktive Stücke in gefragte Kinderkleidung umnäht. Oder die Frau,
die Obst aus den Bergen in der Stadt verkauft und auf dem Rückweg in
ihren Körben Secondhand-Kleidung für den Markt auf ihrem Dorf
mitnimmt. Mit Gebrauchtkleidung gebe es eine weitverzweigte
Wertschöpfungskette, betont Mari. Für ein zweijähriges
»Dialogprogramm Gebrauchtkleidung in
Afrika«, das der Verein FairWertung organisierte, war er mehrfach in
Afrika, um mit Vertretern von Jugendverbänden und
Textilgewerkschaften zu sprechen, sich mit kirchlichen Gruppen zu
treffen und mit Menschen, die im informellen Sektor und im
Kleingewerbe arbeiten. »Wir möchten gute Qualität zu einem fairen
Preis und wir entscheiden selbst, was wir tragen.« Solche Statements
hörte Entwicklungsexperte Francisco Mari dabei immer wieder. Ihm
fiel auf, dass ihm in afrikanischen Städten vor allem europäisch
gekleidete Männer, Frauen und Kinder begegneten.
»Wir müssen euren
Abfall kaufen«
Doch es gibt auch in
Afrika kritische Stimmen dazu: »Wir
empfinden es als demütigend, dass die Touristen unsere
traditionellen Stoffe mit nach Hause nehmen, während wir euren
Abfall kaufen müssen.« Diese Aussage hörte attac-Mitbegründerin
Jutta Sundermann während ihres mehrwöchigen Kenia-Aufenthalts im
Jahr 2011 von politischen Aktivisten in den Slums von Nairobi.
Eine soziale und
ökologische Katastrophe seien die Arbeits- und
Produktionsbedingungen in der gesamten globalisierten textilen Kette,
kritisiert Jutta Sundermann darüber hinaus. Für sie ist die
Altkleiderflut ein Indiz dafür, »wie viel bei uns falsch läuft«.
Ihrer Meinung nach »müssen wir zu einer Kultur finden, dass wir
nicht so viel wegschmeißen«.
Aber auch wenn man die
unmenschlichen Bedingungen in der
Produktion und unseren überbordenden Konsum von Textilien
zu Recht kritisiert: Secondhand-Kleidung ist heutzutage kein Abfall
mehr, sondern für viele Menschen in Afrika eine Möglichkeit, sich
gut und preiswert zu kleiden. Sie ist keine Spende, die abhängig
macht, sondern eine Ware, mit der Menschen
vielfältig handeln. Das macht unsere Gebrauchtkleidung in Afrika -
nicht mehr, nicht weniger.