Es war Ende der 70er Jahre, als die Schweizer Mundartband RUMPELSTILZ ihr Lied vom KIOSK sang. Das ist inzwischen dreißig Jahre her und doch geistert die Erinnerung an jene Zeilen mir immer noch durch den Kopf – besonders seit wir hier in Mosambik leben:
Leute, bin ich denn ein Kiosk?
Oder bin ich etwa 'ne Bank?
Oder seh ich aus wie ein Hotel?
Oder wie'n Kassenschrank?
Kein Tag vergeht, an dem nicht irgendwer etwas von uns will: Mitfahrgelegenheit, Geld leihen, Rührgerät borgen, Wäsche auf unsere Leine hängen, Wasserkanister aus unserem Tank füllen, Schmerztabletten, einen Fußball für die Mannschaft, einen Becher Wasser und eine Banane, schnell mal was auf dem Computer schreiben, im Internet recherchieren, ein Radio aus Deutschland mitbringen lassen oder Orangen vom Baum pflücken und, und, und...
Wir sind in die Stadt gefahren. Wir warten am vereinbarten Treffpunkt, dass unsere Mitfahrer von ihren Einkäufen zurückkommen. Die Autofenster sind offen. Man sieht: da sitzen Weiße. Es dauert nicht lange, dann kommt das Pärchen, das wir schon kennen. An einem Stock zieht eine Frau ihren offenbar blinden Sohn hinter sich her. „My friend!“, ruft sie ins Auto und streckt mir ihre leere Hand entgegen. Ich reagiere nicht sofort. Sie ruft erneut: „My friend!“ Und ihre Hand ist ganz nah bei mir. Ich lege eine Münze hinein. Sie nickt und zieht ihren Sohn zum nächsten Auto. Kaum sind sie weg, kommt ein junger Mann mit gelber Weste. Er will mir „credito“ verkaufen: Guthaben fürs Mobiltelefon. Von den hundert Meticais, die ich zahle, bleiben vier oder fünf bei ihm. Damit verdient er sein Geld. Und der Junge mit den Orangen, auch er will verkaufen. Wir kaufen nicht, schenken ihm dafür eine Schachtel Buntstifte. Er ist unzufrieden. Ein kleiner Mann hat lauter Gürtel um den Hals hängen, in den Händen trägt er Messer, Macheten, Thermoskrüge und Taschenlampen. Auch er möchte, muss seine Sachen verkaufen, verkaufen, verkaufen. Und wer, wenn nicht die, die Geld haben, soll sie kaufen? Du, Weißer, my friend, minha amiga, du hast es doch, drum kauf mir was ab. Und wenn nicht, dann gib mir wenigstens ein Almosen. Von irgendetwas muss ich doch leben...
Das sind die Momente, in denen ich an das Lied vom Kiosk denke: Ja, bin ich denn ein Kiosk? Oder bin ich etwa ne Bank? – Kann ich immer nur geben, austeilen, helfen, nur weil ich etwas habe, das andere nicht haben? Was ist meine Rolle als Weißer, als Helfer? Was ist meine Mission als „Missionar“?
Nein, ich bin kein Kiosk und schon gar nicht eine Bank. Ich kann nicht allen helfen und schon gar nicht immer. Ich habe gelernt, nein zu sagen. Manchmal fällt es leichter, manchmal schwerer.
Vor einiger Zeit haben wir beschlossen, kein Geld mehr zu verleihen. Im Moment des Leihens unterstelle ich den meisten die ehrliche Absicht, das Geld zurück zu geben. Doch wenn es soweit ist, reicht das Geld dann eben doch oft nicht, um es wirklich zu tun. Was bleibt, ist Scham auf der einen und Ärger auf der anderen Seite. Darüber zu sprechen, ist selten möglich.
Das Traurige daran ist, dass sich auf diese Weise die Beziehung zueinander verändert. Wir sehen ineinander immer weniger die Menschen, die wir sind und immer mehr die Bilder, die wir uns voneinander machen: den Weißen, der hat und der deshalb geben kann und geben soll? Den Schwarzen, der haben will, was er nicht hat, weil er es braucht oder zu brauchen meint.
Ja, das ist im eigentlichen Sinn des Wortes schwarz-weiß gemalt, wie ein Holzschnitt. Es ist ein Bild und nicht die Realität selber. Denn in Wirklichkeit gibt es zwischen schwarz und weiß unzählig viele Farben und nicht nur Grautöne!
Gott sei Dank, dass diese Farben manchmal aufblitzen! Oft geschieht das, wenn Gegenseitigkeit gelingt: in einem Gespräch versuchen wir ehrlich zu sein und einander zu verstehen. Oder jemand sagt einfach mal: Danke. Oder einer macht einen Witz und wir lachen gemeinsam – bestenfalls über uns selber.
Und noch einmal für alle, die political correctness mehr lieben als den Sprachwitz:
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