2009/11/28

Es ist uns eine Zeit angekommen...

Heute Nachmittag hat uns Sevelito besucht. Sevelito lebt im Waisenhaus Cambine, seit es das Waisenhaus gibt. Sevelito ist ein freundlicher Mensch, von großem, schlankem Körperbau. Wer ihn kennt, weiß: Sevelito hat viel Kraft. Und: Sevelito kann gut essen. Und das kann er auch durchaus zum Ausdruck bringen. Doch gerade das ist sein Problem: Mit Worten kann er sich nicht ausdrücken. Im Krieg war er irgendwie übriggeblieben. Jemand hat ihn als Kind regelrecht weggeworfen. Man fand ihn in einem Papierkorb. Sprechen hat er nie gelernt. Auch Lesen und Schreiben kann er fast gar nicht. – Was geht in einem Menschen vor, der geistig und körperlich gesund ist, sich aber trotzdem kaum einem Menschen verständlich machen kann? Ich weiß es nicht. Denn auch ich verstehe ihn kaum.

Heute nahm er ein Buch aus dem Regal und las. Ein Murmeln kam von seinen Lippen. Das Buch war in deutscher Sprache. Er konnte es nicht lesen und las. Dann legte er das Buch beiseite und blickte mich an. Er wollte mir was sagen. Doch Worte kamen ihm nicht von den Lippen. Er stand auf, breitete die Arme aus, stellte einen Fuß vor den anderen: Christus. Dann neigte er den Kopf und legte die Hände aneinander. Beten. – Zu Jesus? Ja, klar zu Jesus. – Er nahm wieder das Buch die Hand und las, was er nicht lesen konnte.

Was wollte er mir sagen? Ich habe schon oft zu Jesus gebetet, dass ich endlich Lesen lernen könnte... Vielleicht wollte er mir sagen, ich weiß es nicht. Es ist jedenfalls das, was ich verstanden habe. Es ist Sonnabend vor dem 1. Advent. Und Sevelito wird mir zu einem Sinnbild der Sehnsucht. Wenn ich ihn morgen im Gottesdienst treffe, werde ich ihn umarmen.

2009/11/25

Immer wieder dasselbe Thema

Gestern lasen wir in der Herrnhuter Losung 5. Mose 15,7:
„Du sollst dein Herz nicht verhärten und deine Hand nicht zuhalten
gegenüber deinem armen Bruder.“
Claudia sagt: Man liest das anders, wenn man in Afrika ist. Ich widerspreche ihr nicht. Doch ist es wirklich so? Auch in Deutschland wächst das Armutsproblem.
Wir hören und lesen davon.
Doch eines ist für mich tatsächlich anders hier in Afrika: Die allgemeine Armut rückt mir näher. Ich will das nicht. Es ist mir unangenehm. Doch ich kann es nicht ändern, sie rückt mir auf den Leib.
In Deutschland war für mich ein Wort wie das aus 5. Mose 15 eher ein allgemeiner Appell, den ich gerne weitergab. Inzwischen verbinde ich Gefühle damit. Ich spüre, wie das ist, wenn mir das Herz hart werden will, wenn meine Hand verkrampft.
Es stört mich, wenn der junge Mann mit dem Wahlkampf-T-Shirt der Frelimo mich anbettelt. Ich ärgere mich über das, was da steht: Mit Guebuza besiegen wir die Armut. Ja, sage ich zu ihm, Guebuza hat seine Armut ja schon besiegt. Warum kann er euch nicht helfen? – Noch im gleichen Moment denke: Du bist ungerecht! Was kann der Junge dafür? Der hat wahrscheinlich wirklich einfach Hunger... Oder will er vielleicht doch nur ein leichtes Geld verdienen, weil er denkt: Die Europäer haben’s doch...
Nein, ich kann nicht allen helfen. Nein, ich kann die Armut nicht besiegen. Nicht allein und nicht durch Almosen. Da müssen auch andere in die Pflicht genommen werden. Ohne eine gründliche Revision der Grundlagen unseres wirtschaftlichen und politischen Lebens wird das nicht abgehen. Selbst ehrenwerte Versuche wie die sogenannten „Millenniumsziele“ sind ja nicht mehr als Willensbekundungen mit mehr als zweifelhaften Erfolgsaussichten.
Nein, so naiv bin ich nicht. Ich denke nicht, ich könnte die Welt retten.
Andrerseits: 5 Meticais sind nicht einmal 15 Cent. Und wenn ich jedes Mal, wenn ich in die Stadt fahre, 10 Bettlern oder Trägern je 5 Meticais gäbe, würde mich das arm machen? Nein. Warum also fällt es mir so schwer, es zu tun?

2009/11/20

Andere Länder – andere Sitten?

Da wo unser Mangobaum steht, gab es neulich großes Geschrei. Es war am Nachmittag. Die Kinder aus dem benachbarten Kindergarten kamen ans Fenster. Auf der Straße blieben die Leute blieben stehen. Was war geschehen?

Einer habe ein Schwein gestohlen, hieß es. Er habe es geschlachtet und das Fleisch dann verkauft – auf eigene Rechnung versteht sich. Und dieser eine sei grad an unserem Haus vorbei gelaufen. Und jemand habe ihn erkannt. Und weiter?

Man griff ihn sich, fesselte ihn und verprügelte ihn. Heftig. Auch Studenten und Lehrer des Theologischen Seminars standen dabei. Einige mischten wohl auch mit. Nach einigen Minuten meinte einer von ihnen, es reiche. Genug geprügelt. Der Lärm legte sich. Die Menschen gingen weiter. Die Kinder kehrten an ihre Spiele zurück. Den Geprügelten führte man derweil gefesselt zu der Familie, die er bestohlen hatte. Was dort mit ihm geschah? Ich weiß es nicht.

Andere Länder – andere Sitten. Gilt das auch, wenn es um die Prügelstrafe geht? Um Selbstjustiz? Was, wenn einer mal zu lange schlägt oder zu derb? Aus Versehen. Oder mit Absicht. Weil vielleicht noch eine alte Rechnung offen ist...? Andererseits: Wegen eines gestohlenen Schweines geht hier keiner zur Polizei. Man hat da so seine Erfahrungen. Die Polizei tritt erst bei schwereren Delikten in Aktion. Mit Diebstählen beschäftigen die sich nur, wenn bei den „Richtigen“ eingebrochen wird, heißt es.

Die einfachen Leute in ihren Hütten ohne sichere Schlösser - was bleibt ihnen anderes übrig, als Selbstjustiz zu üben? Bei aller damit verbundenen Problematik. Nichts tun wäre Ermutigung zu weiteren Diebstählen. In aller Öffentlichkeit Prügel zu beziehen, das vergisst man dagegen nicht so schnell. Weder als Dieb, noch als Zuschauer.

Alles, was Recht ist? - In Ländern wie Mosambik versteht man darunter etwas anderes als in Europa.

2009/11/07

Unfaire Wahlen in Mosambik

Nach den am 28. Oktober stattgefundenen Parlamentswahlen in Mosambik deutet alles darauf hin, dass die seit 1975 herrschende FRELIMO wieder gewonnen hat. Von einer Muster-Demokratie ist Mosambik inzwischen weit entfernt, meint Johannes Beck in seinem Kommentar auf der Webseite der Deutschen Welle dw-world.

Perle der Entwicklungszusammenarbeit am Indischen Ozean, Musterland der Demokratie, afrikanische Erfolgsgeschichte. An Lob für gute Regierungsführung und Demokratie in Mosambik mangelte es in der Vergangenheit nicht, egal ob seitens Weltbank, EU oder der deutschen Regierung.
Doch seit den Wahlen vom 28. Oktober ist Lob definitiv fehl am Platz. Auch wenn die Wahlen gut organisiert waren und weitgehend reibungslos verliefen, so weist der Wahlprozess doch gravierende Mängel auf.
Von den Wahlen ausgeschlossen
Gröbstes Foul war, dass die Wahlkommission die neue, dritte Kraft des Landes, die Demokratische Bewegung Mosambiks MDM (Movimento Democrático de Moçambique), von 9 der 13 Wahlbezirke des Landes ausgeschlossen hat. Damit ging sie von Anfang an chancenlos ins Rennen. Auch eine Reihe anderer, kleinerer Parteien durfte nicht an den Wahlen teilnehmen.
Die Wahlkommission begründete ihre Entscheidung damit, es hätten Dokumente der Kandidaten wie ein polizeiliches Führungszeugnis gefehlt. Doch während die Wahlkommission gegenüber dem MDM darauf bestand, dass die Vorschriften genau einzuhalten seien, hielt sie sich selbst nicht daran. So räumte die Wahlkommission dem MDM keine Frist ein, um die fehlenden Dokumente nachzureichen oder Ersatz-Kandidaten aufzustellen. Damit hat die Wahlkommission gegen geltendes Recht verstoßen. Detailliert begründet hat sie ihre Entscheidungen ebenfalls nicht, wichtige Dokumente konnten bis heute nicht eingesehen werden.
In die Wahlkampfkasse gewirtschaftet
Nicht nur deshalb waren die Wahlen an diesem Mittwoch unfair. So haben sich die Kandidaten der FRELIMO schamlos an staatlichen Ressourcen bedient: Regelmäßig wurden beispielsweise Dienstwagen der staatlichen Verwaltung für Wahlkampfauftritte verwendet.
Dass die öffentliche Verwaltung Mosambiks und die FRELIMO-Partei immer weniger zu unterscheiden sind, ist nicht neu. Die Beamten des Landes werden seit Beginn der ersten Amtszeit von Präsident Armando Guebuza im Jahr 2004 massiv unter Druck gesetzt, der FRELIMO beizutreten. Wichtige Posten in der öffentlichen Verwaltung vergibt die FRELIMO unter sich, unabhängige Fachleute bekommen so gut wie nie eine Chance.
Das Ausland muss reagieren
Zeit für die Geber zu handeln, um ein klares Zeichen für mehr Demokratie zu setzen. Meiner Meinung nach sollte die deutsche Bundesregierung ihre direkten Zahlungen an den Staatshaushalt Mosambiks, die sogenannte Budgethilfe, ganz einstellen oder zumindest in einem ersten Schritt drastisch kürzen. Schließlich verlangt die deutsche Regierung als Voraussetzung für Budgethilfe eine gute Regierungsführung und Respekt vor demokratischen Spielregeln.
Das wäre ein deutliches und für die Regierung Mosambiks sehr schmerzhaftes Zeichen. Denn mehr als die Hälfte des Staatshaushaltes sind Hilfsgelder. Parallel dazu könnte die direkte Förderung von Projekten in Mosambik weiterlaufen. Hier lässt es sich weit besser kontrollieren wie die Gelder ausgegeben werden.
Noch gibt es Chancen die Demokratie in Mosambik zu retten. Doch dazu müssen jetzt die Geberländer der regierenden FRELIMO deutlich machen, dass sie ihren Kurs ändern muss. Unfaire Wahlen wie diese dürfen sich nicht wiederholen.


Persönliche Anmerkung: Klar, unfaire Wahlen wie diese dürfen sich nicht wiederholen. Aber bis wieder gewählt werden wird, vergehen Jahre. Bereits innerhalb dieser Legislaturperiode muss eine Verbesserung der Situation erkennbar werden, nicht erst an deren Ende!

2009/11/06

Traurig und trocken


sieht es seit Wochen auf den Feldern rund um Cambine aus. Besonders der Mais ist von der Trockenheit betroffen. Für die Studierenden am Theologischen Seminar ist das besonders schlecht, weil es gerade in diesem Herbst wiederholt Schwierigkeiten mit der Auszahlung des ohnehin nicht reichlichen Stipendiums gab. Über Wochen hatten sie wenig oder nichts zu essen. Besonders ärgerlich ist das, weil der Grund schlicht ein verwasltungstechnischer war. Ihn zu beheben dauerte Wochen. Als dann endlich gezahlt worden war, war das erhaltene Geld schnell weg, weil ja aufgelaufene Schulden beglichen werden mussten. Inzwischen warten die Studenten erneut auf das Stipendium, das seit dem 20. Oktober überfällig ist.

Entwicklungshelfer fürchten Kürzungen

Unter dieser Unterschrift fand ich in Ausgabe 37 der ZEIT (3. September 2009) folgende kleine Notiz:

Entwicklungshelfer warnen vor einer Kürzung der Hilfsbudgets infolge der Finanzkrise. »Nach der Asienkrise in den neunziger Jahren stieg die Kindersterblichkeit erheblich an«, warnt Susanne Weber-Mosdorf von der Weltgesundheitsorganisation. Die Leiterin des Brüsseler Büros begründet die gestiegene Mortalität mit Sparmaßnahmen bei der Entwicklungshilfe und fürchtet jetzt eine Wiederholung. Österreich beispielsweise kürzte den Etat 2008 um 130 Millionen Dollar. Pro Kopf und aufs Jahr gerechnet, zahlt Österreich mit 201 Dollar allerdings noch 42 Dollar mehr an Entwicklungshilfe als Deutschland. Nach Berechnungen von Nichtregierungsorganisationen ist Luxemburg mit 834 Dollar Entwicklungshilfe je Einwohner Spitzenreiter, Bulgarien mit drei Dollar Schlusslicht.
Zählt man alle EU-Länder zusammen, dann legte deren Anteil an den weltweiten Spenden zu. Sechs von zehn Euro für Hilfsprojekte in Afrika, Asien und Südamerika stammen aus der EU. Im vergangenen Jahr stieg das Budget um 600 Millionen Dollar, während die USA den gleichen Betrag kürzten. Ich verstehe nicht, dass manche Staaten ihre Budgets zusammenstreichen«, sagt die liberale EU-Parlamentarierin Sophie in't Veld: »Wenn sich die afrikanischen Länder entwickeln, haben wir Handelspartner und Absatzmärkte. Helfen wir nicht, verschärfen wir nur den Migrationsdruck.«