2009/11/28

Es ist uns eine Zeit angekommen...

Heute Nachmittag hat uns Sevelito besucht. Sevelito lebt im Waisenhaus Cambine, seit es das Waisenhaus gibt. Sevelito ist ein freundlicher Mensch, von großem, schlankem Körperbau. Wer ihn kennt, weiß: Sevelito hat viel Kraft. Und: Sevelito kann gut essen. Und das kann er auch durchaus zum Ausdruck bringen. Doch gerade das ist sein Problem: Mit Worten kann er sich nicht ausdrücken. Im Krieg war er irgendwie übriggeblieben. Jemand hat ihn als Kind regelrecht weggeworfen. Man fand ihn in einem Papierkorb. Sprechen hat er nie gelernt. Auch Lesen und Schreiben kann er fast gar nicht. – Was geht in einem Menschen vor, der geistig und körperlich gesund ist, sich aber trotzdem kaum einem Menschen verständlich machen kann? Ich weiß es nicht. Denn auch ich verstehe ihn kaum.

Heute nahm er ein Buch aus dem Regal und las. Ein Murmeln kam von seinen Lippen. Das Buch war in deutscher Sprache. Er konnte es nicht lesen und las. Dann legte er das Buch beiseite und blickte mich an. Er wollte mir was sagen. Doch Worte kamen ihm nicht von den Lippen. Er stand auf, breitete die Arme aus, stellte einen Fuß vor den anderen: Christus. Dann neigte er den Kopf und legte die Hände aneinander. Beten. – Zu Jesus? Ja, klar zu Jesus. – Er nahm wieder das Buch die Hand und las, was er nicht lesen konnte.

Was wollte er mir sagen? Ich habe schon oft zu Jesus gebetet, dass ich endlich Lesen lernen könnte... Vielleicht wollte er mir sagen, ich weiß es nicht. Es ist jedenfalls das, was ich verstanden habe. Es ist Sonnabend vor dem 1. Advent. Und Sevelito wird mir zu einem Sinnbild der Sehnsucht. Wenn ich ihn morgen im Gottesdienst treffe, werde ich ihn umarmen.

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