Ich lese in der Zeitung: In Deutschland
wird über das „Sitzenbleiben“ diskutiert. Es soll generell
abgeschafft werden. Kinder, die den Lernstoff eines Schuljahres nicht
verinnerlicht haben, sollen das Jahr trotzdem nicht wiederholen
müssen. In Deutschland, so lese ich, will man von Ländern wie
Großbritannien oder Finnland lernen. Dort wird schwächeren Schülern
nicht mit Sitzenbleiben gedroht, sondern Nachhilfeunterricht
angeboten. Keine schlechte Idee, finde ich.
In Mosambik bleiben Kinder auch nur
sehr selten sitzen. Von der 1. bis zur 5. Klasse gilt das System der
automatischen Versetzung unabhängig vom Leistungsstand. Allerdings
ohne das Angebot von Nachhilfeunterricht. Das ist verhängnisvoll. So
kommt es, dass Kinder in der 2. Klasse oft noch nicht bis 10 rechnen
können und dass selbst in höheren Klassen viele Schüler nur
ansatzweise lesen können.
Um das auszugleichen bieten wir im
Waisenhaus seit einigen Jahren außerschulischen Nachhilfeunterricht
an, täglich vier Gruppen. Dazu gibt es seit einiger Zeit
Einzelnachhilfe. Claudia z.B. arbeitet mit António. Sie sagt: Er hat
die Grundlagen nicht verstanden. Er hat keine Vorstellung vom Wert
einer Zahl oder von der Bedeutung und dem Klang eines Buchstabens.
Wie soll er da den Stoff bewältigen können, der in der 2. und den
folgenden Klassen auf ihn zu kommt?
in einer Grundschulklasse in Cambine |
Die Direktorin des Waisenhauses hatte
vor Beginn des Schuljahres Antónios Lehrer gebeten, ihn die 1.
Klasse wiederholen zu lassen. In diesem Fall sei das besser für das
Kind. Der Lehrer hat das strikt abgelehnt. Ich frage einen
Pastorenkollegen, der als Lehrer an einer Sekundarschule arbeitet, warum das so ist..
Ja, sagt der, das Bildungssystem in
Mosambik ist ein großes Problem. Jedes Jahr gibt es neue Gesetze. Je
nachdem, woher das meiste Geld kommt, ändern sich die Regeln. Im
Moment hat Frankreich das Sagen, also muss ein Schwerpunkt auf den
Französischunterricht gelegt werden. Es gibt aber gar nicht genug
Französischlehrer. Eigentlich, sagt er, wäre es auch wichtiger, den
Unterricht der portugiesischen Sprache zu verbessern.
Außerdem fließt viel Geld aus Fonds
zur Bekämpfung des Analphabetismus ins Bildungssystem. Die
Geberländer setzen für diese Unterstützung zeitliche
Rahmenbedingungen: Innerhalb einer Frist von, sagen wir, fünf
Jahren, soll die Analphabetenrate um soundsoviel Prozent sinken.
Ich kann diese Logik verstehen. Sie
soll ein Ziel formulieren. Doch ist sie wirklich hilfreich? Führt
sie wirklich dazu, dass am Ende mehr Menschen lesen können? Ich
denke, hier liegt der Grund, weshalb Antónios Lehrer seinen Schüler
unbedingt versetzen will, auch wenn er weder rechnen noch lesen oder
schreiben kann. Wichtiger als die Kenntnisse seines Schülers scheint
ihm die Planerfüllung zu sein. Davon hängt schließlich die
Finanzierung der Schule ab.
Hinzu kommt eine weitere Schwierigkeit.
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung Mosambiks sind junge Menschen.
Die Schulen müssen zweischichtig genutzt werden. Die eine Hälfte
der Schuljugend geht morgens, die andere Hälfte nachmittags in die
Schule. Trotzdem sind die Klassen sehr groß. Es fehlt an Lehrmitteln
und Ausstattung. So bleibt oft nur Frontalunterricht. Wer begabt ist,
kann auch da was lernen. Wer aber schwach ist, oder die
portugiesische Sprache nicht gut beherrscht, hat kaum eine Chance.
Claudia und viele andere
Nachhilfelehrerinnen und -lehrer werden sich also auch künftig mühen
müssen, damit schwächere Schüler ihre Chance bekommen. Dass das
weder den Schülern leichtfällt, noch den meist unausgebildeten
Nachhilfelehrern, ist klar.
Wieviel ist 3-2? fragt Claudia. António
überlegt kurz. Dann antwortet er fragend: 11? Fast richtig, möchte
ich antworten, um ihn zu ermutigen. Es ist halt nur eine 1 zu viel.
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