2013/03/09

3 - 2 = 11

Ich lese in der Zeitung: In Deutschland wird über das „Sitzenbleiben“ diskutiert. Es soll generell abgeschafft werden. Kinder, die den Lernstoff eines Schuljahres nicht verinnerlicht haben, sollen das Jahr trotzdem nicht wiederholen müssen. In Deutschland, so lese ich, will man von Ländern wie Großbritannien oder Finnland lernen. Dort wird schwächeren Schülern nicht mit Sitzenbleiben gedroht, sondern Nachhilfeunterricht angeboten. Keine schlechte Idee, finde ich.

In Mosambik bleiben Kinder auch nur sehr selten sitzen. Von der 1. bis zur 5. Klasse gilt das System der automatischen Versetzung unabhängig vom Leistungsstand. Allerdings ohne das Angebot von Nachhilfeunterricht. Das ist verhängnisvoll. So kommt es, dass Kinder in der 2. Klasse oft noch nicht bis 10 rechnen können und dass selbst in höheren Klassen viele Schüler nur ansatzweise lesen können.

Um das auszugleichen bieten wir im Waisenhaus seit einigen Jahren außerschulischen Nachhilfeunterricht an, täglich vier Gruppen. Dazu gibt es seit einiger Zeit Einzelnachhilfe. Claudia z.B. arbeitet mit António. Sie sagt: Er hat die Grundlagen nicht verstanden. Er hat keine Vorstellung vom Wert einer Zahl oder von der Bedeutung und dem Klang eines Buchstabens. Wie soll er da den Stoff bewältigen können, der in der 2. und den folgenden Klassen auf ihn zu kommt?

in einer Grundschulklasse in Cambine

Die Direktorin des Waisenhauses hatte vor Beginn des Schuljahres Antónios Lehrer gebeten, ihn die 1. Klasse wiederholen zu lassen. In diesem Fall sei das besser für das Kind. Der Lehrer hat das strikt abgelehnt. Ich frage einen Pastorenkollegen, der als Lehrer an einer Sekundarschule arbeitet, warum das so ist..

Ja, sagt der, das Bildungssystem in Mosambik ist ein großes Problem. Jedes Jahr gibt es neue Gesetze. Je nachdem, woher das meiste Geld kommt, ändern sich die Regeln. Im Moment hat Frankreich das Sagen, also muss ein Schwerpunkt auf den Französischunterricht gelegt werden. Es gibt aber gar nicht genug Französischlehrer. Eigentlich, sagt er, wäre es auch wichtiger, den Unterricht der portugiesischen Sprache zu verbessern.

Außerdem fließt viel Geld aus Fonds zur Bekämpfung des Analphabetismus ins Bildungssystem. Die Geberländer setzen für diese Unterstützung zeitliche Rahmenbedingungen: Innerhalb einer Frist von, sagen wir, fünf Jahren, soll die Analphabetenrate um soundsoviel Prozent sinken.

Ich kann diese Logik verstehen. Sie soll ein Ziel formulieren. Doch ist sie wirklich hilfreich? Führt sie wirklich dazu, dass am Ende mehr Menschen lesen können? Ich denke, hier liegt der Grund, weshalb Antónios Lehrer seinen Schüler unbedingt versetzen will, auch wenn er weder rechnen noch lesen oder schreiben kann. Wichtiger als die Kenntnisse seines Schülers scheint ihm die Planerfüllung zu sein. Davon hängt schließlich die Finanzierung der Schule ab.

Hinzu kommt eine weitere Schwierigkeit. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung Mosambiks sind junge Menschen. Die Schulen müssen zweischichtig genutzt werden. Die eine Hälfte der Schuljugend geht morgens, die andere Hälfte nachmittags in die Schule. Trotzdem sind die Klassen sehr groß. Es fehlt an Lehrmitteln und Ausstattung. So bleibt oft nur Frontalunterricht. Wer begabt ist, kann auch da was lernen. Wer aber schwach ist, oder die portugiesische Sprache nicht gut beherrscht, hat kaum eine Chance.

Claudia und viele andere Nachhilfelehrerinnen und -lehrer werden sich also auch künftig mühen müssen, damit schwächere Schüler ihre Chance bekommen. Dass das weder den Schülern leichtfällt, noch den meist unausgebildeten Nachhilfelehrern, ist klar.

Wieviel ist 3-2? fragt Claudia. António überlegt kurz. Dann antwortet er fragend: 11? Fast richtig, möchte ich antworten, um ihn zu ermutigen. Es ist halt nur eine 1 zu viel.

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