In
Chicuque nahe beim Landkrankenhaus steht ein riesiger Baobab, einer
von Afrikas Symbolbäumen also. Schon knapp über dem Boden teilt er
sich in mehrere Stämme. Der Gesamtumfang mag an die zehn Meter sein.
Im
Schatten des Baums springen Kinder umher. Mit Eifer sammeln sie etwas
auf. Es sind auf dem Boden liegende Früchte. Immer mehr Früchte
fallen vom Baum. Ich traue meinen Augen nicht: In schwindelnder Höhe
– es können gut und gerne zehn, zwölf Meter sein - klettern zwei
Jungs in den Ästen herum. Doch was heißt hier klettern? Sie hängen
sich an dünne Ästen und treten mit den Füßen nach den Früchten,
um sie herunter zu stoßen. Das sieht nicht nur gefährlich aus, das
ist gefährlich.
Lebensgefährlich. Ist das nun Verwegenheit? Oder Leichtsinn? Ich
kann es nicht entscheiden. Die Jungs bewegen sich sicher. Der
Abgrund unter ihnen scheint ihnen keine Angst zu machen. Sie
beeindrucken mich, diese Jungs von Chicuque.
Ein Junge im Baobab von Chicuque |
Nach
zehn Minuten stehen die Kletterer wieder auf der Straße. Ihre
Freunde haben die Früchte vom Boden aufgelesen. Beladen mit prall
gefüllten Plastiksäcken und Kartons machen sie sich davon. Ich rufe
den Jungs zu, so mögen mal warten. Ich möchte mal sehen, was sie da
für Früchte gesammelt haben. Ich will sie fragen, ob sie denn
wirklich keine Angst haben, da oben im Baum, und was sie mit den
Früchten machen wollen. Vielleicht freuen sie sich, wenn ich sie
fotografiere... Doch
dazu kommt es nicht.
Als sie merken, dass ich sie rufe, erstarren
ihre Gesichter. Sie rennen davon, so schnell sie können. Einige
verlieren ihre gesammelten Früchte. Sie lassen sie mitten auf der
Straße liegen. Nur weg von hier... Ich begreife: Die haben Angst vor
mir. Warum nur? Minuten
später. Ich sitze im Auto und fahre nach Hause, auf demselben Weg
wie die Jungs. Als ich sie einhole, bricht erneut Panik aus. Wieder
lassen sie Früchte auf der Straße zurück. Nur weg, nur weg...
Hier oben hing der Junge in den Ästen und trat nach den Früchten |
Jetzt
bin ich entsetzt. In welcher Welt aus Angst müssen diese Kinder
leben? Haben sie wirklich so schlechte Erfahrungen mit Weißen
gemacht? Oder mit Erwachsenen - gleich welcher Hautfarbe? Haben sie
ein schlechtes Gewissen und wenn ja, warum? Meinen sie, der Baum
gehöre mir und ich möchte sie nun wegen Diebstahls verklagen? Keine
Ahnung... Für die
Jungs scheine ich jedenfalls bedrohlicher zu wirken als der tiefste
Abgrund unter dem höchsten Geäst. Mut und Angst liegen manchmal
sehr nah beieinander.