Kinder am Straßenrand. Manche von
ihnen nehmen Reißaus, wenn sie nur von fern das Geräusch eines
herannahenden Fahrzeugs vernehmen. Sie haben gelernt, dass es besser
so ist. Was sie vertreibt, ist der Respekt vor dem rücksichtslosen
Fahrstil vieler Fahrer. Andere tun genau das Gegenteil: Sie kommen
herbei gerannt und zeigen die Geste des Bettelns oder rufen:
Schokolade!Sie haben gelernt, dass manchmal etwas
für sie abfällt, wenn die Autos mit den Weißen vorbeifahren.
Auf der Piste nach Cambine ist unser
blauer Toyota vielen Kindern gut bekannt. Wir begegnen ihnen oft auf
ihrem Schulweg. Sie winken uns zu oder rufen nur halb im Scherz:
Boleia – nimm mich mit! Größere Jungs grüßen mit lässiger
Handbewegung, so wie Kraftfahrer einander eben grüßen. Doch mit der
Leichtigkeit ist es vorbei, wenn ich nur anhalte. Panik bricht aus,
wenn ich gar mit dem Auto zurücksetze. Kindern, die mir eben noch
freundlich zugewunken haben, steht das blanke Entsetzen im Gesicht.
Es ist die Angst davor, „weggefangen
zu werden“, wie das in meiner Kindheit genannt wurde. Für mich in
meinem erzgebirgischen Dorf der 60er Jahre war das allerdings nie
eine Gefahr, die ich allzu ernst genommen hätte. Ich fühlte mich
sicher. Viele Kinder in Mosambik empfinden das offenbar ganz anders.
Und das nicht ohne Grund. Im Fernsehen z.B. sieht man Werbespots, die
einen auf das Problem aufmerksam machen. Sie fordern dringend dazu
auf, nicht wegzuschauen, sondern den Verdacht auf Kindesmissbrauch
und Kinderhandel anzuzeigen. Auch die Angst in den Kindergesichtern
deutet darauf hin, dass hier eine reale Gefahr lauern kann.
Und heute haben wir selber ein Kind
sozusagen entführt, legal zwar, aber immerhin. Amando, ein Säugling von fünf Monaten, hatte die vergangenen drei Wochen mit seiner Mutter im
Krankenhaus Morrumbene zugebracht. Bei einem Routinebesuch des
regionalen Sozialdienstes im Haus seiner geistig behinderten Mutter
wurde der Junge stark unterernährt gefunden. Im Krankenhaus wurde
deutlich, dass die Mutter auf Grund ihrer Behinderung nicht
angemessen für ihn sorgen kann. So wurde entschieden, der Mutter das
Sorgerecht zu entziehen und Amando ins Waisenhaus nach Cambine zu
geben. Die Mutter hat allerdings kein Einsehen und verweigert ihre
Zustimmung. Heute nachmittag wurde die Mutter zum Wäschewaschen
geschickt. Währenddessen wurde Amando in unser Auto gepackt und wir fuhren mit ihm davon – um ehrlich zu sein: nicht so ganz mit reinem
Gewissen. Ich fragte die Dame vom Jugendamt: Ist das denn wirklich
rechtens? Ja, sagte sie, manchmal geht es nicht anders...
Und dann kamen wir im Waisenhaus an.
Alle kamen gerannt und wollten das neue Baby sehen, von den Kleinsten
bis zu den Großen. Alle hießen ihn willkommen, nahmen ihn in die
Arme, strichen ihn wie in einer Segensgeste über den Kopf: Sei
willkommen, Kleiner.
Er wird viel Fürsorge brauchen. Fünf Monate
ist er alt und wiegt nur 3600 Gramm. Und das schon seit Wochen. Für ihn
wird gesorgt werden. Bleibt nur zu hoffen, dass auch seine Mutter Unterstützung bekommt. Sie bräuchte sie vermutlich genau so dringend wie er. Doch als psychisch Kranke hat sie hier eindeutig weniger zu erwarten als ihr Sohn.
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