2013/04/14

Auch wer mutig ist, hat manchmal Angst

In Chicuque nahe beim Landkrankenhaus steht ein riesiger Baobab, einer von Afrikas Symbolbäumen also. Schon knapp über dem Boden teilt er sich in mehrere Stämme. Der Gesamtumfang mag an die zehn Meter sein.

Im Schatten des Baums springen Kinder umher. Mit Eifer sammeln sie etwas auf. Es sind auf dem Boden liegende Früchte. Immer mehr Früchte fallen vom Baum. Ich traue meinen Augen nicht: In schwindelnder Höhe – es können gut und gerne zehn, zwölf Meter sein - klettern zwei Jungs in den Ästen herum. Doch was heißt hier klettern? Sie hängen sich an dünne Ästen und treten mit den Füßen nach den Früchten, um sie herunter zu stoßen. Das sieht nicht nur gefährlich aus, das ist gefährlich. Lebensgefährlich. Ist das nun Verwegenheit? Oder Leichtsinn? Ich kann es nicht entscheiden. Die Jungs bewegen sich sicher. Der Abgrund unter ihnen scheint ihnen keine Angst zu machen. Sie beeindrucken mich, diese Jungs von Chicuque.

Ein Junge im Baobab von Chicuque

Nach zehn Minuten stehen die Kletterer wieder auf der Straße. Ihre Freunde haben die Früchte vom Boden aufgelesen. Beladen mit prall gefüllten Plastiksäcken und Kartons machen sie sich davon. Ich rufe den Jungs zu, so mögen mal warten. Ich möchte mal sehen, was sie da für Früchte gesammelt haben. Ich will sie fragen, ob sie denn wirklich keine Angst haben, da oben im Baum, und was sie mit den Früchten machen wollen. Vielleicht freuen sie sich, wenn ich sie fotografiere... Doch dazu kommt es nicht. 

Als sie merken, dass ich sie rufe, erstarren ihre Gesichter. Sie rennen davon, so schnell sie können. Einige verlieren ihre gesammelten Früchte. Sie lassen sie mitten auf der Straße liegen. Nur weg von hier... Ich begreife: Die haben Angst vor mir. Warum nur? Minuten später. Ich sitze im Auto und fahre nach Hause, auf demselben Weg wie die Jungs. Als ich sie einhole, bricht erneut Panik aus. Wieder lassen sie Früchte auf der Straße zurück. Nur weg, nur weg... 

Hier oben hing der Junge in den Ästen und trat nach den Früchten
 
Jetzt bin ich entsetzt. In welcher Welt aus Angst müssen diese Kinder leben? Haben sie wirklich so schlechte Erfahrungen mit Weißen gemacht? Oder mit Erwachsenen - gleich welcher Hautfarbe? Haben sie ein schlechtes Gewissen und wenn ja, warum? Meinen sie, der Baum gehöre mir und ich möchte sie nun wegen Diebstahls verklagen? Keine Ahnung... Für die Jungs scheine ich jedenfalls bedrohlicher zu wirken als der tiefste Abgrund unter dem höchsten Geäst. Mut und Angst liegen manchmal sehr nah beieinander.

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