2014/07/02

Kopfkino - Kopfverband

João ist verletzt. Der selber keinem was zuleide tut, hat einen Stein abgekriegt. Große Platzwunde am Kopf. Geworfen hatte den Stein Domingos, sein Waisenhausbruder. Eigentlich wollte er einen anderen treffen. Der habe ihn provoziert, heißt es. Neulich gab es schon einmal so einen Zwischenfall. Da warf Domingos mit einem großen Holzscheit um sich. Das traf damals nur den Solarwassererhitzer. Eine Glasröhre ging zu Bruch. Die konnte ersetzt werden. Was aber, wenn er einmal aus Versehen eines der kleineren Kinder trifft?

Was geht in Domingos vor? Weiß er nicht, dass sein Verhalten nicht akzeptabel ist? Er weiß es. Aber manchmal kann er sich trotzdem nicht kontrollieren. Domingos ist 30 Jahre alt. Als Kind wurde er gezwungen, Soldat zu sein. Was da mit ihm geschah, weiß keiner genau. Wir können nur mutmaßen, dass die Erlebnisse von damals ihn bis heute verfolgen. - Irgendwie müssen wir Domingos vor sich selber schützen. Auch zum Schutz der anderen.

João mit seinem Kopfverband

Cambine Kalender - Juli 2014



With a little help of my friends

Wenn wir in Maxixe durch die Straßen fahren, sehen wir fast immer Autos mit Logos von Hilfsorganisationen: UNICEF, Ärzte ohne Grenzen, Samaritan's Purse, USAid, HANDICAP, SOS Kinderdörfer, GIZ und andere mehr. Dazu kommen die kirchlichen Hilfswerke und Missionen. So viele Helfer. So viele Projekte. Wahrscheinlich sind die meisten davon sinnvoll und erfüllen einen guten Zweck. HANDICAP zum Beispiel ist eigentlich eine internationale Hilfsorganisation für Körperbehinderte. In Mosambik beteiligen sie sich intensiv an der Räumung der gefährlichen Landminen. Wer wollte da etwas Kritisches dagegen einwenden?

Trotzdem, ich will ehrlich sein: die Vielzahl der Helfer ist mir nicht geheuer. Und ich sage das, obwohl ich selber einer von ihnen bin. Sind die Mosambikaner wirklich so hilfsbedürftig? Können sie die Dinge nicht selber in die Hand nehmen? Und wenn nicht, warum nicht?

Viel ist über das Thema Entwicklungshilfe in den letzten Jahren geschrieben und gestritten worden. Den einen ist es viel zu wenig, was da getan wird, den anderen viel zu viel. Das geht bis dahin, dass manche – afrikanische! - Kritiker der Entwicklungshilfe vorschlagen, die Hilfsorganisationen sollten sich komplett zurück ziehen. Nur so, sagen sie, könne man den Regierungen begreifbar machen, dass das, was die Hilfsorganisationen leisten, eigentlich zu deren ureigener Verantwortung gehört.

Ich glaube, dieses Argument ist richtig. Nur die Schlussfolgerung kann ich nicht teilen. Natürlich erleichtert der Zufluss von Hilfsgeldern und -gütern es den einheimischen Eliten oft genug, sich schamlos schadlos zu halten. Oft an den durchaus vorhandenen Einkünften aus der Förderung von Bodenschätzen und manchmal auch an den Hilfsgeldern selber. Ich meine aber, dass sich die entwickelten Länder im Norden trotzdem nicht aus der Verantwortung stehlen dürfen. Wir sind verpflichtet, mit den unterentwickelten Ländern im Süden zu kooperieren. Wir dürfen nicht so tun, als habe es den Kolonialismus nie gegeben. Oder als sei er nur eine Art Vorform von Entwicklungshilfe gewesen, die den Armen Schulen und Krankenhäuser gebracht hätte. Als wäre es im Kolonialismus nicht auch und vor allem um Ausbeutung gegangen!

Nicht zu vergessen die politische Bevormundung. Eine Ursache vieler aktueller Konflikte in Afrika liegt in der sogenannten „Berliner Konferenz“ von 1884/85. Damals zogen die Kolonialmächte die Grenzen ihrer Einflussgebiete ohne Rücksicht auf Siedlungsgebiete einheimischer Völker. Keiner fragte, in welchem Verhältnis sie zueinander standen. So wurden oft genug rivalisierende Völkergruppen in gemeinsame Staatsgebilde gepresst und zusammengehörige Siedlungsgebiete getrennt. Die dramatischen Folgen sind bis heute zu spüren.

Es geht nur miteinander! Die Schwierigkeit besteht darin, angemessene Formen von Zusammenarbeit zu finden. Das fällt um so schwerer, je größer und je offizieller der Rahmen ist. Hier sind vor allem Politik und Wirtschaft in der Pflicht, gerechte Strukturen zu schaffen, die für beide Seiten von Nutzen sind. Bleibt der Rahmen aber persönlich und überschaubar, finden sich fast immer gute Möglichkeiten zu kooperieren. Zum Beispiel in Cambine: vor Jahren wurde das Gästehaus renoviert. Geld kam aus Deutschland und den USA. Getan wurde die Arbeit von freiwilligen Helfern aus den USA und Mosambik. Das hilft den mosambikanischen Eigentümern und zugleich denen, die Mosambik besuchen. Genau so läuft es beim Bau des neuen Studentenwohnheims. Studenten des Theologischen Seminars arbeiten zusammen mit freiwillen Helfern aus Virginia, USA.

Miteinander arbeiten und feiern, das stiftet Gemeinsamkeit. Das hilft, einander über kulturelle, historische und geographische Grenzen hinweg verstehen zu lernen. Natürlich, auch diese Form der Begegnung ist nicht frei von Problemen. Und sie löst auch nicht die großen Fragen der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen. Dennoch halte ich diese Form der Zusammenarbeit für sinnvoll. Sie kann den persönlichen Horizont erheblich weiten. Menschen überschreiten die Grenzen ihrer Kultur, und sie tun es nicht als Touristen. Sie begeben sich an Orte und in Lebensbedingungen, die sie in keinem der üblichen Reisekataloge finden. Wer schon einmal an so einer Begegnung teilgenommen hat, weiß es aus eigener Erfahrung: Das Fremde bleibt nicht fremd. Es gewinnt Gestalt. Es verbindet sich mit Gesichtern, Namen, Menschen. Das passiert nicht vor dem Fernsehschirm. Das gelingt nur mit Hilfe der Freunde, die wir gewinnen, indem wir aufbrechen, ihnen zu begegnen.

typisches Motto amerikanischer Freiwilliger

Pfingsten in Cambine

Es ist Sonntagmorgen 6.15 Uhr. Das Telefon klingelt. Die Pastora steht vor unserem noch verschlossenen Gartentor. Sie müsse mich sprechen. Gestern abend habe sie einen Anruf aus Maputo erhalten. Sie müsse heute dringend dahin. Ob ich sie um neun nach Maxixe fahren könnte? Ich kann. Doch eigentlich ist es ja Gottesdienstzeit. Ob sie denn einfach so wegkönne am Pfingstsonntag? Ach, sagt sie, ich muss.

Kurz vor neun fahre ich zum Pastorhaus. Die Pastora duscht noch. Hundert Meter von ihrem Haus entfernt hat inzwischen der Pfingstgottesdienst begonnen, in dem sie eigentlich hätte sein sollen. Den hat sie heute morgen an einen Kollegen übergeben. In Cambine geht das so kurzfristig. Durch das Theologische Seminar gibt es viele Pastoren. Und wenn sie doch mal keiner findet, wird ein Student verpflichtet. Das sind die Jüngsten. Die wehren sich noch weniger als die anderen.

Als wir losfahren, frage ich die Pastora, warum sie denn so Hals über Kopf nach Maputo müsse. Jaaa, sagt sie gedehnt und stöhnt dabei vieldeutig, unsere Chefs... Gestern sei dieser Anruf gekommen, dass heute (Pfingstsonntag!) eine Sitzung sei und ab morgen ein Seminar, an dem sie teilzunehmen habe. Ich frage zurück: Doch nicht nur du allein? Nein, sagt sie, da seien noch fünf, sechs andere aus der Region dabei. Die seien auch alle gestern erst informiert worden. Worum es in dem Seminar denn ginge, frage ich, und wo genau es stattfinde. Das wisse sie nicht. Das habe man ihr nicht gesagt. Ich versuche eine letzte Frage: Werdet ihr dazu schweigen in Maputo? Oder werdet ihr den Chefs sagen, dass sie so nicht mit euch umgehen können? Die Pastora lächelt verlegen und schweigt. - Wie sie wohl auch schweigen wird, wenn sie in Maputo mit ihren Chefs in jenem Seminar sitzen wird, von dem sie noch nicht mal das Thema kennt.

Wir kommen in Maxixe an. Bevor ich sie zum Bus bringe, müssen wir noch Lebensmittel kaufen. Für die Kinder, die mit ihr im Haus wohnen und die die nächsten Tage und Nächte allein dort sein werden. Auch für sich kauft sie einen Pack Bananen. Fürs Frühstück, sagt sie, hatte sie noch gar keine Zeit.

Gegen elf bin ich wieder zurück in Cambine. Gemeindeglieder kommen mir entgegen. Der Gottesdienst scheint aus zu sein. Was werden sie dort erlebt haben? Den Geist Gottes, der Menschen dazu bringt, freimütig von dem zu reden, was ihnen am Herzen liegt? - Ach wenn es doch so wäre!

Die Realität in Mosambik ist oft ganz anders. Freimütig zu reden, das kostet überall auf der Welt Überwindung. In Mosambik erlebt man das nach meiner Erfahrung aber noch seltener als irgendwo sonst, zumal im Verhältnis zu Vorgesetzten. Das ist in der Regel angstbesetzt. Eine Kultur der kritischen Solidarität gibt es hier anscheinend nicht. Im offenen Gespräch gemeinsam nach Lösungen zu suchen, das hat kaum einer gelernt. Vieles geschieht per Weisung. Und die wird in der Regel nicht angefragt. Wer es doch einmal wagt, sich zu widersetzen, bekommt mit großer Wahrscheinlichkeit die Folgen zu spüren. Auch in der Kirche.