Ich war überrascht, dass sich hinter dem Namen kein russischer Bauernjunge verbirgt, sondern ein kleines mosambikanisches Mädchen. Verbarg, muss ich schreiben, denn Vania lebt nicht mehr. Und die Geschichte, die ich kurz erzählen will, ist eine überaus traurige.
Während wir in Deutschland waren, brachte ihr Vater Vania ins Waisenhaus. Die Mutter sei gestorben, hieß es, und er könne sich genau so wenig um das Kind kümmern wie die anderen Verwandten. Da war Vania ein halbes Jahre alt.
Mütter und Kinder im Waisenhaus nahmen sich der Kleinen an. Doch aß und trank sie kaum. Dafür schrie sie viel. Offenbar hatte sie Schmerzen. Nach einigen Überlegungen, wie es denn mit Vania weitergehen könne, fassten die Mütter und die Direktorin den Entschluss, das Kind doch wieder in die Obhut der Familie zu geben. Die nahmen es auch wieder auf, obwohl inzwischen auch der Vater des Kindes gestorben war. Wenige Tage später ging Vanias kurzes Leben zu Ende.
Wir besuchen die Familie am Tag nach der Beerdigung. Sie wohnen etwa 20 Autominuten außerhalb von Cambine im Busch. Noch ist die Großfamilie beieinander. Die Frauen sitzen auf Matten auf dem Sandboden, die Männer nebenan auf Plastikstühlen. Leise einen Gruß murmelnd reichen wir einem nach dem anderen die Hände. Man bietet uns Stühle an. Schweigend sitzen wir eine Weile beieinander. Dann berichtet der Großvater kurz aus Vanias letzten Tagen. Die Direktorin des Waisenhauses spricht ein Gebet, dann gehen wir gemeinsam mit allen Verwandten die fünfhundert Meter zum Familienfriedhof. Das Grab des Urgroßvaters ist gemauert. Die anderen vier oder fünf Gräber sind einfache Erdhaufen. Vanias Grab ist das frischeste. Einige Verwandte nehmen Sand in die Hand und streuen ihn aufs Grab. Eine der Frauen gibt eine Kanne durch die Reihe. Manche gießen damit Wasser auf das Grab, doch immer so, dass es ihre linke Hand überspült. Das sei so Tradition, heißt es.
Man bittet mich um ein Gebet. Ich spreche es auf Deutsch. Die Menschen um mich herum verstehen mich so wenig, wie ich sie verstehe. Was uns dennoch verbindet, ist Traurigkeit – und Sehnsucht. Sehnsucht danach, dass sich das Wort des alten Propheten Jesaja endlich erfüllt und kein Kind mehr für einen frühen Tod geboren werden muss. Doch noch ist dieser verheißungsvolle Tag nicht angebrochen, soviel ist uns klar, zumal hier im mosambikanischen Busch, zehn Kilometer Fußweg von der nächsten Gesundheitsstation entfernt.
2010/07/29
Schlechte Luft
M. klagt über Malaria. Weil es sie neulich mal richtig schwer erwischt hatte, geht sie jetzt schon bei den ersten Anzeichen zum Test. Das hat sie daraus gelernt, sagt sie. Sie kommt zurück und strahlt. Sie wird die Tabletten regelmäßig nehmen. Dann wird es diesmal nicht so schlimm werden wie letztes Mal.
Am nächsten Tag treffen wir uns wieder. Ihre Tante, sagt M., habe die Hälfte ihrer Tabletten mitgenommen. Sie habe auch Malaria, hätte sie gesagt, und mit der Schere die Packung mitten durch geschnitten. Aber es ginge ihr, M., ohnehin schon besser. Deshalb sei das alles auch nicht so schlimm. Morgen wolle sie sowieso zur Kontrolle gehen.
Claudia erklärt, dass die Tabletten nur wirken, wenn man sie regelmäßig einnimmt. M. lächelt nur. Ich mische mich ein, versuche sie zu überzeugen, dass sie nur ins Gesundheitszentrum gehen brauche, neue Tabletten holen. M.lächelt nur über unseren Eifer. Morgen wird sie hingehen - zur Kontrolle. Das reiche.
Wie es scheint, hält M. Malaria noch immer für eine Krankheit die durch schlechte Luft, mal-aria eben, ausgelöst wird und gegen die ein Spaziergang an frischer Luft mehr hilft als die richtige Medikation.
Am nächsten Tag treffen wir uns wieder. Ihre Tante, sagt M., habe die Hälfte ihrer Tabletten mitgenommen. Sie habe auch Malaria, hätte sie gesagt, und mit der Schere die Packung mitten durch geschnitten. Aber es ginge ihr, M., ohnehin schon besser. Deshalb sei das alles auch nicht so schlimm. Morgen wolle sie sowieso zur Kontrolle gehen.
Claudia erklärt, dass die Tabletten nur wirken, wenn man sie regelmäßig einnimmt. M. lächelt nur. Ich mische mich ein, versuche sie zu überzeugen, dass sie nur ins Gesundheitszentrum gehen brauche, neue Tabletten holen. M.lächelt nur über unseren Eifer. Morgen wird sie hingehen - zur Kontrolle. Das reiche.
Wie es scheint, hält M. Malaria noch immer für eine Krankheit die durch schlechte Luft, mal-aria eben, ausgelöst wird und gegen die ein Spaziergang an frischer Luft mehr hilft als die richtige Medikation.
Semesterbeginn am Theologischen Seminar
Nächsten Montag beginnt das neue Semester. Noch kennen wir keinen Stundenplan und wissen nicht, ob der abberufene Kollege durch einen neuen ersetzt werden wird. Heute ist Donnerstag und 9 Uhr beginnt die Lehrerversammlung. Der Termin steht seit Februar fest. Ich wurde am Montag noch einmal daran erinnert. Es gibt viel zu besprechen. Doch die Versammlung fällt mangels Beteiligung aus. Nicht einmal die akademische Direktorin ist erschienen. Kein Anruf, keine Entschuldigung, keine Erklärung. Nach 50 Minuten Warten gehen wir unverrichteter Dinge wieder nach Hause. „Treffen wir uns eben am Montag nachmittag“, meint der Direktor im Gehen. Seine Stimme klingt wie immer. Für ihn ist das Alltag.
Ohne Netz und doppelten Boden
„Natürlich, es geht auch ohne Netz. Ging Jahrzehnte, ach was, Jahrtausende ohne, und jetzt, mal eine Woche ohne Internetzugang. Klar geht das!“ - Und wirklich es ging. Das Leben ging weiter, ganz normal. Offiziell ließ man verlautbaren, bei Bauarbeiten sei das „Hauptkabel“ durchtrennt worden. Aus diesem Grund sei sowohl das staatliche Mobilfunknetz, als auch das Festnetz und das Internet in der ganzen Provinz für einige Zeit nicht verfügbar. Wie lange die Reparatur dauere, wisse niemand. Sie dauerte dann nur zehn Tage. Eigentlich eine kurze Zeit.
Für uns, die verhinderten Nutzer, barg sie die Gelegenheit einiger bemerkenswerter Erfahrungen. Zum Beispiel die des Abgeschnittenseins. Räumliche Ferne, so ist mein Eindruck, trennt nicht wirklich, solange man sie kommunizierend überwinden kann. Allein zu wissen, dass ich Kontakt aufnehmen könnte, wenn ich wollte oder müsste, lässt die interkontinentale Distanz auf einen gefühlten Katzensprung schrumpfen. Erst das Abgeschnittensein von dieser Möglichkeit hat mich die wirkliche Entfernung wieder spüren lassen.
Oder die Erfahrung, dass unterbundene Kommunikation den Alltag zum stocken bringt. Ist das Geld für die Lebensmittel schon überwiesen? Wird im nächsten Semester ein neuer Lehrer ans Seminar kommen? Werden wir den Dienstwagen zur Reparatur bringen können? Antworten, die ausbleiben. Entscheidungen, die aufgeschoben werden müssen, wie so vieles. Das Gute daran: manches erledigt sich dadurch von allein.
Und schließlich die Erfahrung: So leicht fällt es mir doch nicht, ohne die elektronischen Kommunikationsmittel zu leben. Sie sind ein bedeutender Teil meines Alltags geworden. Das zeigt sich auch daran, dass ich hier und jetzt darüber schreibe. Es geht auch ohne, klar, aber es fehlt was.
Für uns, die verhinderten Nutzer, barg sie die Gelegenheit einiger bemerkenswerter Erfahrungen. Zum Beispiel die des Abgeschnittenseins. Räumliche Ferne, so ist mein Eindruck, trennt nicht wirklich, solange man sie kommunizierend überwinden kann. Allein zu wissen, dass ich Kontakt aufnehmen könnte, wenn ich wollte oder müsste, lässt die interkontinentale Distanz auf einen gefühlten Katzensprung schrumpfen. Erst das Abgeschnittensein von dieser Möglichkeit hat mich die wirkliche Entfernung wieder spüren lassen.
Oder die Erfahrung, dass unterbundene Kommunikation den Alltag zum stocken bringt. Ist das Geld für die Lebensmittel schon überwiesen? Wird im nächsten Semester ein neuer Lehrer ans Seminar kommen? Werden wir den Dienstwagen zur Reparatur bringen können? Antworten, die ausbleiben. Entscheidungen, die aufgeschoben werden müssen, wie so vieles. Das Gute daran: manches erledigt sich dadurch von allein.
Und schließlich die Erfahrung: So leicht fällt es mir doch nicht, ohne die elektronischen Kommunikationsmittel zu leben. Sie sind ein bedeutender Teil meines Alltags geworden. Das zeigt sich auch daran, dass ich hier und jetzt darüber schreibe. Es geht auch ohne, klar, aber es fehlt was.
2010/07/01
...nicht unser Tag
Nein, heute war wohl nicht unser Tag. Dabei sollte es ein großer Tag werden: Der Vizesozialminister hatte sich angesagt. Vor fünf Tagen kam der Anruf, dass er das Waisenhaus besuchen will. Eigentlich war unser Plan, nach Maputo zu fahren. Aber wenn der Minister kommt, geht das natürlich nicht. Also werden wir später in die Hauptstadt fahren. Alles muss vorbereitet werden für den hohen Gast. Grundstück aufräumen. Fenster putzen. Kinder chic anziehen. Rechtzeitig versammeln sich die Granden von Cambine: Bürgermeister, Superintendent, Missionsdirektor. Auch der Distriktsarzt ist extra aus Morrumbene herübergekommen. Die Kinder üben das Begrüßungslied. Mit Bougainvilleablüten schreiben sie "Willkommen" in den Sand.
Als sich der Gast verspätet, versucht ihn jemand per Telefon zu erreichen. Nein, sie kämen noch nicht gleich, heißt es dann. Sie seien noch in der Provinzhauptstadt in einer Sitzung. Wann und ob er überhaupt ins Waisenhaus käme, sei im Moment nicht klar. Langer Rede kurzer Sinn: Auch nach zwei Stunden Warten war kein Minister angekommen...
Uns Europäer ärgert sowas: vertane Zeit! Unsere afrikanischen Freunde und Nachbarn nehmen's mit Gelassenheit. Der Superintendent meinte nur: Das war unsere Arbeit heute nachmittag - Warten auf den Minister. Ist das nun theologische Abgeklärtheit (schließlich wartet die gesamte Christenheit seit fast 2000 Jahren) oder ist es afrikanischer Fatalismus? Ich bin mir nicht sicher.
Wieder zu Hause setze ich mich auf den Schreibtischdrehstuhl. Dreimal knackt es laut, dann bricht er zusammen. Dabei wollte ich einfach nur da sitzen...
Nein, das war wirklich nicht unser Tag. Und doch, wenn man sich's richtig überlegt, hat Boaventura, der Superintendent wohl recht: Ist es nicht ständig unsere Aufgabe, damit zurecht zu kommen, dass im Leben nicht alles glatt geht? Natürlich ging das heute schief mit dem Stuhl und dem Minister. Ich kann mich darüber ärgern, aber verpflichtet dazu bin ich nicht. Denn es gab auch andere, bessere Erfahrungen an diesem Tag. Gott sei Dank!
Als sich der Gast verspätet, versucht ihn jemand per Telefon zu erreichen. Nein, sie kämen noch nicht gleich, heißt es dann. Sie seien noch in der Provinzhauptstadt in einer Sitzung. Wann und ob er überhaupt ins Waisenhaus käme, sei im Moment nicht klar. Langer Rede kurzer Sinn: Auch nach zwei Stunden Warten war kein Minister angekommen...
Uns Europäer ärgert sowas: vertane Zeit! Unsere afrikanischen Freunde und Nachbarn nehmen's mit Gelassenheit. Der Superintendent meinte nur: Das war unsere Arbeit heute nachmittag - Warten auf den Minister. Ist das nun theologische Abgeklärtheit (schließlich wartet die gesamte Christenheit seit fast 2000 Jahren) oder ist es afrikanischer Fatalismus? Ich bin mir nicht sicher.
Wieder zu Hause setze ich mich auf den Schreibtischdrehstuhl. Dreimal knackt es laut, dann bricht er zusammen. Dabei wollte ich einfach nur da sitzen...
Nein, das war wirklich nicht unser Tag. Und doch, wenn man sich's richtig überlegt, hat Boaventura, der Superintendent wohl recht: Ist es nicht ständig unsere Aufgabe, damit zurecht zu kommen, dass im Leben nicht alles glatt geht? Natürlich ging das heute schief mit dem Stuhl und dem Minister. Ich kann mich darüber ärgern, aber verpflichtet dazu bin ich nicht. Denn es gab auch andere, bessere Erfahrungen an diesem Tag. Gott sei Dank!
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