2010/07/29

Vania

Ich war überrascht, dass sich hinter dem Namen kein russischer Bauernjunge verbirgt, sondern ein kleines mosambikanisches Mädchen. Verbarg, muss ich schreiben, denn Vania lebt nicht mehr. Und die Geschichte, die ich kurz erzählen will, ist eine überaus traurige.

Während wir in Deutschland waren, brachte ihr Vater Vania ins Waisenhaus. Die Mutter sei gestorben, hieß es, und er könne sich genau so wenig um das Kind kümmern wie die anderen Verwandten. Da war Vania ein halbes Jahre alt.

Mütter und Kinder im Waisenhaus nahmen sich der Kleinen an. Doch aß und trank sie kaum. Dafür schrie sie viel. Offenbar hatte sie Schmerzen. Nach einigen Überlegungen, wie es denn mit Vania weitergehen könne, fassten die Mütter und die Direktorin den Entschluss, das Kind doch wieder in die Obhut der Familie zu geben. Die nahmen es auch wieder auf, obwohl inzwischen auch der Vater des Kindes gestorben war. Wenige Tage später ging Vanias kurzes Leben zu Ende.

Wir besuchen die Familie am Tag nach der Beerdigung. Sie wohnen etwa 20 Autominuten außerhalb von Cambine im Busch. Noch ist die Großfamilie beieinander. Die Frauen sitzen auf Matten auf dem Sandboden, die Männer nebenan auf Plastikstühlen. Leise einen Gruß murmelnd reichen wir einem nach dem anderen die Hände. Man bietet uns Stühle an. Schweigend sitzen wir eine Weile beieinander. Dann berichtet der Großvater kurz aus Vanias letzten Tagen. Die Direktorin des Waisenhauses spricht ein Gebet, dann gehen wir gemeinsam mit allen Verwandten die fünfhundert Meter zum Familienfriedhof. Das Grab des Urgroßvaters ist gemauert. Die anderen vier oder fünf Gräber sind einfache Erdhaufen. Vanias Grab ist das frischeste. Einige Verwandte nehmen Sand in die Hand und streuen ihn aufs Grab. Eine der Frauen gibt eine Kanne durch die Reihe. Manche gießen damit Wasser auf das Grab, doch immer so, dass es ihre linke Hand überspült. Das sei so Tradition, heißt es.

Man bittet mich um ein Gebet. Ich spreche es auf Deutsch. Die Menschen um mich herum verstehen mich so wenig, wie ich sie verstehe. Was uns dennoch verbindet, ist Traurigkeit – und Sehnsucht. Sehnsucht danach, dass sich das Wort des alten Propheten Jesaja endlich erfüllt und kein Kind mehr für einen frühen Tod geboren werden muss. Doch noch ist dieser verheißungsvolle Tag nicht angebrochen, soviel ist uns klar, zumal hier im mosambikanischen Busch, zehn Kilometer Fußweg von der nächsten Gesundheitsstation entfernt.

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