2011/10/19

Tolerância

Heute ist Feiertag, naja halber Feiertag, sagen wir mal. Tolerancia, sagen die Mosambikaner, was so viel heißt wie: Jeder kann selber entscheiden, ob gearbeitet wird oder nicht. Und wenn ich nicht zur Arbeit gehen muss, was tu ich da? Ich geh nicht hin, oder?

Eigentlich wollten wir heute zum Zoll nach Inhambane, wegen der Dankzeichen für Deutschland. Doch dann hörten wir von Überlegungen staatlicherseits, den 19. Oktober 2011 kurzfristig zum Feiertag zu erklären. Sicherheitshalber riefen wir gestern nachmittag auf dem Amt an, ob denn heute geöffnet sei. Der Beamte war sich nicht sicher. Er musste den Chef fragen. Der gab die klärende Auskunft: Am Donnerstag morgen um 7:30 Uhr wird das Zollamt wieder geöffnet sein. Am 19.10.2011 bleibt es geschlossen.

Wie Machel gerne gesehen wird

Der Grund ist einfach: am 19. Oktober 1986 kam der damalige Staatspräsident Mosambiks, Samora Machel, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Das war vor 25 Jahren. Da verteilt die Regierung gern einmal ein Geschenk ans Volk. Denn noch immer erfreut sich Machel großer Beliebtheit im Volk. Reden konnte der, heißt es. Und Singen konnte er auch. Und manchmal unterbrach er seine Reden und sang mit seinem Volk erst mal ein Lied. Und alle sangen mit. So sagt man heute jedenfalls. Zweifellos ist das sein großes Verdienst: Neben Eduardo Mondlane ist er die zweite große Integrationsfigur der Mosambikaner. Auch weil sich viele Mosambikanern mit ihren Helden identifizieren, gibt es im Land kaum regionale oder ethnische Spannungen.

Marschall Samora Moisés Machel - der Held auf dem Geld

Als wir gestern in Maxixe im Baumarkt waren, fiel mir auf, dass man dort extra einen Fernseher installiert hatte: Samora Machel sprach zu seinem Volk. Samora Machel als Kämpfer in Uniform. Samora Machel als Staatsmann. Interessant daran ist: der Baumarkt gehört einem der wenigen Portugiesen, die heute noch (oder wieder?) in Maxixe leben und gegen die der Freiheitskämpfer Machel ja angetreten war.

Marschall Machel weilt in der DDR (auf dem Bild mit Margot Honecker)

PS: Graça Machel, die Witwe Samoras, ist heute übrigens mit Nelson Mandela verheiratet, dem ehemaligen Staatschef Südafrikas. Als ihr erster Mann ums Leben kam, gab es nicht wenige, die meinten, der Absturz sei von dem damaligen Apartheidstaat verursacht worden, der auch Mandela für 27 Jahre hinter Schloss und Riegel setzte.

2011/10/15

Mitten im Leben...

"Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen." Es war Martin Luther, der diese Zeile aus einem Kirchenlied des 11. Jahrhunderts ins Deutsche übertragen hat. Und seither wurde diese menschliche Grunderfahrung von Dichtern und Sängern immer wieder neu in Worte gefasst: "zerbrechlich sind wir".

Gestern wurde hier in Cambine eine Pastorin zu Grabe getragen. Voriges Jahr hatte die Witwe ein zweites Mal geheiratet, einen Witwer. Vergangene Woche ist sie bei der Geburt ihres Kindes gestorben und auch das Kind hat nicht überlebt. Nun ist ihr Mann zum zweiten mal Witwer.

Gestern abend erreichte unseren Praktikanten die traurige Nachricht, dass im fernen Deutschland seine Großmutter verstorben ist.

Und heute morgen beim Brötchenholen im Waisenhaus hörten wir vom plötzlichen Tod einer Schülerin aus dem Mädcheninternat. Heute morgen sei sie noch munter gewesen und habe mit den anderen am Fluss Wasser geholt. Beim Wäschewaschen sei sie dann plötzlich tot umgefallen - ein Mädchen im Berufsschulalter.

Und während ihr Leichnam mit dem Pickup aus dem Internat ins Totenhaus gebracht wird, findet direkt nebenan in der Kirche eine Hochzeit statt. Durch die offenen Fenster dringt fröhlicher Gesang. Man kann das unpassend finden - oder ein Symbol darin erkennen:
Selbst der Tod ist vom Leben umfangen. Gott sei Dank.

Wie heißt das Zauberwort?


Kinder helfen Kindern. Das ist Name und Programm einer Sammlung, die in diesen Monaten in Deutschland durchgeführt wird. Vor allem Gemeinden und insbesondere Kindergottesdienste der Evangelisch-methodistischen Kirche unterstützen sie.

In den vergangenen Jahren wurden Projekte in Brasilien und Ungarn unterstützt. In diesem Jahr geht es um Mosambik. Und weil diese Aktion besonders die Lebenssituation von Kindern in den jeweiligen Ländern verbessern will, kommt die Sammlung 2011/12 dem Waisenhauses in Cambine zugute.

Ausdruck lebendiger Verbundenheit über Ländergrenzen hinweg ist auch, dass es jeweils ein Dankzeichen gibt. Das erhalten alle, die mit ihren Gaben und Aktionen die Sammlung unterstützt haben. Irgend ein kleines, aber typisches Symbol des jeweiligen Landes soll es sein. In diesem Jahr sind Frauen aus Cambine damit beschäftigt, kleine Utensilientaschen zu nähen. Sie verwenden dazu den Capulanastoff, der hier in Mosambik für alles mögliche verwendet wird: als Tischdecke genau so wie als Überrock, als Tragetuch für Babies wie auch als Regenschutz.

Inzwischen sind die ersten 700 Stück auf dem Weg nach Deutschland. Freunde aus den USA haben sie mit auf die Reise genommen. Bei einem Zwischenaufenthalt in Paris haben sie sie auf die Post gebracht. Nun müssten sie bald ihr Ziel erreichen. Eigentlich wollten wir sie von Mosambik aus direkt nach Deutschland schicken, aber DHL hat solch horrende Preise, dass wir die Täschchen dafür fast selber hätten hinbringen können. Nun muss uns nur noch was für den Rest einfallen. Wer weiß, vielleicht kommt ja jemand von euch in den nächsten Wochen hier vorbei... Dem könnten wir sie dann ja mitgeben.

Wie auch immer, allen Unterstützerinnen und Unterstützern von "Kindern helfen Kindern" sei schon jetzt gesagt: Wir freuen uns und danken euch sehr für allen eueren Einsatz.

2011/10/09

durchs Netz gefallen

Freitag abend, kurz nach 9: Stromausfall. Kein Problem, denken wir. Wenigstens Licht haben wir ja noch. Dafür sorgt die Solaranlage. Und für den Computer und zum Handyladen reicht es allemal.

Sonnabend morgen, kurz nach dem Aufwachen, ich probiere: kein Strom. Langsam fangen wir an, uns zu sorgen. Wir haben Fisch im Eisfach. - Was ist eigentlich los? Wir versuchen, im Internet etwas zu erfahren. Die Website des staatlichen Fernsehens wurde seit gestern abend nicht aktualisiert. Haben die im Maputo vielleicht auch keinen Strom?

Sonnabend nachmittag: immer noch kein Strom. Wenn wir nicht bald wieder mit Energie versorgt werden, wird das Wasser knapp werden. Noch gibt es in Cambine keine solarbetriebene Pumpe. Man sagt uns: Es gäbe in Teilen von Maputo und in den beiden Provinzen Gaza und Inhambane keinen Strom. In den Geschäften wird die Tiefkühlware antauen - und später trotzdem verkauft werden. Banken und Tankstellen werden nicht funktionieren. Was ist mit denen, die unterwegs sind und nicht tanken können? Es heißt, in Palmeira, einer Kleinstadt in der Provinz Maputo seien zwei Strommasten umgekippt. Das ist mindestens 400 Kilometer entfernt. Wie kann das passieren? Sabotage in Friedenszeiten? Verkehrsunfall? Materialermüdung? Wir nehmen die Information als das, was sie ist: ein Gerücht.

Sonnabend abend: Als wir schlafen gehen, gibt es immer noch keinen Strom. Wir müssen sparsam mit Wasser umgehen. Wenn unser Tank erst mal leer ist, kommt nichts mehr nach. Dann müssen wir wie alle anderen auch an die Quelle. Die ist gut 20 Minuten Fußweg entfernt.

Sonntag morgen, gegen drei: Ich liege wach. Immer noch kein Strom. Inzwischen ist offenbar auch die solargespeiste Batterie leer. Licht gibt es nur noch von der Kerze und aus der
Taschenlampe.

Um die Geschichte abzukürzen: Sonntag mittag, kurz nach 13 Uhr werden wir wieder mit Energie versorgt. Wir nehmen es dankbar zur Kenntnis. Zwar hatte die Sonne die Batterien wieder geladen, doch für den Kühlschrank reichte es trotzdem nicht. Nun warten wir noch darauf, dass auch die Wasserversorgung wieder funktioniert.

Einmal mehr haben wir gespürt, wie störanfällig unsere technisierte Welt ist. Dona Marta, die außerhalb von Cambine wohnt in ihrem Haus ohne Strom- und Wasseranschluss, wird von alldem vielleicht gar nichts mitbekommen haben.

2011/10/08

Was bin ich?

Es heißt: Kinder lernen mehr am Beispiel der Erwachsenen als an deren Worten. Anders gesagt: Was sie sind, hat mehr Gewicht, als was sie sagen. Groß ist die Verantwortung, die uns allen daraus erwächst. Und längst nicht immer werden wir ihr gerecht. Wie Saint-Exupéry im „Kleinen Prinzen“ schreibt: „Ich bin viel mit Erwachsenen umgegangen und habe Gelegenheit gehabt, sie ganz aus der Nähe zu betrachten. Das hat meiner Meinung über sie nicht besonders gut getan.“

Was also sind wir? Oder besser: Wer sind wir? Und noch genauer: Wer bin ich? Wie nehmen mich die Kinder wahr, zum Beispiel die im Waisenhaus? Wer bin ich für sie? Und was lernen sie an dem, was ich bin? - Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Ich hoffe aber, dass ich ihnen etwas vermitteln kann: Wertschätzung zuerst und Zuwendung, doch auch Begrenzung und die Erfahrung, dass alles Tun und Lassen Konsequenzen hat, im Guten wie im Bösen.

Das alles erfordert natürlich auch Worte, die wir miteinander wechseln, aber eben nicht nur. Die Kinder haben ein Recht darauf, dass unser Verhalten nicht Lügen straft, was wir sagen. Und darauf, dass unsere Worte nicht mehr versprechen, als wir halten wollen oder können. An dieser Stelle können Kinder sehr aufmerksam sein. Und manchmal reagieren sie gnadenlos.

Mir scheint, gerade in dieser Gnadenlosigkeit liegt eine Chance. Kinder, die mich an meine Grenzen bringen, stellen mich unabweisbar vor die Frage: Wer bin ich für sie? Warum behandeln sie mich so? Empfinden sie, dass nicht zusammen passt, was ich sage und was ich bin? Oder anders herum: Schreit, was ich bin, vielleicht so laut, dass sie gar nicht mehr hören können, was ich sage? Übertönt die unmöglich zu verbergende Tatsache, dass ich ein 'mulungu' bin, ein Weißer, ein reicher Europäer, womöglich alles andere, was ich sage oder tue? Nicht selten wird das so sein. Und viel zu oft bin ich mir dessen nicht bewusst.

Zum Beispiel: Luis. Wir kennen einander nicht besonders gut. Manchmal wechseln wir einige Worte miteinander. Luis ist Elektriker und wohnt etwas außerhalb in einem Haus ohne Stromanschluss. Jetzt könnte er von einem Nachbarn eine große Solar-Paneele kaufen. Er hat dafür aber kein Geld. Kann ich ihm verübeln, dass er den Wunsch hat, die Stromversorgung seines Hauses zu verbessern? Kann ich ihm verübeln, dass er in mir zuerst den Menschen sieht, den er um Geld bitten kann? Und wie wird er mich wahrnehmen, wenn ich ihm sage, dass wir kein Geld mehr verleihen? Wie sollte er verstehen können, dass wir mit europäischen Maßstäben gemessen, nicht zu den Reichen gehören?

Ein anderes Beispiel: Neulich veranstalteten US-Missionspartner eine Ferien-Bibel-Schule für die Kinder von Cambine. Das war eine gute Sache. Zweimal am Tag kamen bis zu 70 Kinder in die Kirche. Dort waren Erwachsene, die sich Zeit für sie nahmen, die ihnen biblische Geschichten erzählten, mit ihnen sangen, bastelten und spielten. Wo erleben sie das sonst in ihrem Alltag? Und doch: Es kam alles so bunt und amerikanisch daher, als sei die Bibelwoche von Walt Disney gesponsert worden.

Vacation Bible School

Dafür, dass ich Europäer oder Amerikaner bin, kann ich nichts. Auch dafür, dass ich mit mosambikanischen Maßstäben gemessen, wohlsituiert und privilegiert bin, kann ich nichts. Es ist die Realität, in der wir leben. Sie gibt mir überhaupt erst die Möglichkeit hier zu sein. Ich muss mich deshalb nicht ständig dafür entschuldigen. Aber ich muss mir dessen bewusst sein, wo ich in dieser Realität stehe und wer ich bin – in meinen Augen und in den Augen meiner Nachbarn, in deren Welt ich für eine Weile zu Gast bin. Vielleicht habe ich dann eine Chance, dass, was ich bin, nicht allzu laut schreit.

2011/10/02

Cambine Kalender 2012


Der neue Cambine Kalender ist fertig!

Wie in den vergangenen Jahren haben wir auch für 2012 wieder einen CD-Kalender vorbereitet, diesmal ausschließlich mit Bildern von Kindern aus Mosambik. Zu bestellen ist der Kalender direkt bei Michael Meaubert vom come back e.V. in Zittau, der sich in bewährter Weise um Layout und Druck gekümmert hat. Dieses Jahr wird auch Bestellung und Versand über ihn laufen.

WICHTIG: Bestellfrist nur bis 5. Oktober 2011!
Einige Kalenderblätter und alle notwendigen Informationen finden Sie unter


PS: Alle diejenigen, die in den vergangenen Jahren ein Exemplar von uns persönlich erhielten, dürfen auch in diesem Jahr wieder damit rechnen - so als Gruß zum Jahreswechsel und als Dankeschön für das uns entgegengebrachte Interesse und die erfahrene Unterstützung.

erstaunliche Zahlen

Seit einiger Zeit gibt die Zahl unten rechts auf dem Bildschirm Auskunft darüber, wieviele Leser wöchentlich unser Blog angeclickt haben. Heute stand da eine 158. Um ehrlich zu sein: diese Zahl beschämt mich regelmäßig.

Immer wieder gibt es Zeiten, in denen ihr nichts Neues finden könnt, weil ich nichts schreibe. Im Moment kann ich ja auf Bens Blog verweisen. Da findet sich immer was Interessantes... Ja, im Moment ist unser Zugang zum Internet ein allseits begehrter Platz. Und nicht immer, wenn der Zugang frei ist, bin ich auch gerade in der Lage oder in Stimmung, was zu schreiben. Bleibt uns trotzdem gewogen und schaut immer mal nach. Danke für euer Interesse.

Auf Durchreise

Er wohnt irgendwo außerhalb von Stockholm. Sie lebt mit ihrer Mutter auf einem Boot irgendwo im hohen Norden. Er arbeitet als Krankenpfleger, sie den Sommer über in einem Café. Er raucht. Sie ernährt sich vegetarisch. Sie engagiert sich aktiv in einer kirchlichen Jugendorganisation. Er zieht es vor, während des Gottesdienstes spazieren zu gehen. Sie hat schon in Kenia gelebt und in Palästina. Er träumt davon, in einem Blockhaus im Wald zu leben. Er ist ihr Vater. Sie ist seine Tochter.

Er lebt schon lange getrennt von seiner Frau. Sie war noch nie so lange mit ihrem Vater zusammen wie in diesen Wochen. Gemeinsam reisen sie ein Vierteljahr durch Afrika, ohne Auto, nur mit dem Rucksack auf dem Rücken. So lernen sie die Welt kennen und der Vater seine erwachsene Tochter und die Tochter ihren unbekannten Vater.

Für eine Nacht waren sie unsere Gäste. Inzwischen sind sie in Simbabwe oder Malawi. Ich weiß es nicht. Nur ihre Namen kenne ich und eine Telefonnummer. Sie will anrufen, wenn sie das nächste Mal hier vorbei kommt. Ganz bestimmt...