Land
der Sehnsucht
Nehmen
wir einmal an, wir lebten in einem Land, in dem Krieg und Terror
herrschen.
Nehmen
wir einmal an, wir könnten uns unseres Lebens nicht mehr sicher sein
und der Tod lauere uns überall auf.
Nehmen
wir einmal an, es wären die Kinder aus unserer Familie, die auf der
Flucht sind, ängstlich, verwaist, traumatisiert, orientierungslos.
Nehmen
wir einmal an, wir lebten in Syrien - was würden wir machen? Würden
wir nicht auch unserer Sehnsucht folgen, die keineswegs purer
Abenteuerlust oder reinen Wohlstandsgelüsten entspringt, sondern
vielmehr der Angst ums nackte Überleben? Würden wir nicht auch in
ein Land fliehen wollen, in dem wir uns sicher fühlen können?
Nehmen
wir einmal an, es gäbe ein Land, in dem sich jeder an folgendes
biblisches Wort hält: Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll
euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich
selbst.
Nehmen
wir einmal an, es gäbe ein Land, in dem dieses Wort von allen
beherzigt wird, auch von denen, die mit Gott und Bibel nichts
anzufangen wissen oder wollen, die aber dennoch überzeugt sind, dass
kein Mensch, wirklich keiner, mehr oder weniger wert ist als der
andere, sprich: als man selbst.
Nehmen
wir einmal an, es gäbe ein Land, in dem Flüchtlingen mit ihrem
Schmerz über den Verlust ihrer Heimat und ihrer Angehörigen nicht
noch verhohlene oder unverhohlene Feindseligkeiten entgegenschlagen,
sondern Respekt, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft. Nehmen wir einmal
an, es gäbe ein Land, in der die Sorge um das Wohl der Flüchtlinge
größer ist als darum, selbst zu verarmen.
Nehmen
wir einmal an, niemand würde dies für einen frommen Wunschgedanken,
eine naive Milchmädchenrechnung oder weit hergeholte Utopie halten.
Nehmen
wir einmal an, es gäbe jemanden, der so ein Land kennt.
Ich
würde ihn nach dem Weg fragen und zöge dorthin.
Andrea
Wilke, Referentin im Bischöflichen Ordinariat Erfurt, Thüringische
Landeszeitung, 01.09.2013
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