Haben heute abend wieder unsere Auswahl an Adventsmusik von der Festplatte gehört. Gleich dreimal kam „Maria durch ein Dornwald ging“ vor: erst gesungen vom Thomanerchor, dann in einer Aktualisierung von Gerhard Schöne und schließlich in der meisterhaften Fassung des Ensembles Amarcord.
Normalerweise reagiere ich gereizt oder gelangweilt, wenn in kurzer Zeit dreimal dasgleiche Lied erklingt. Heute war es anders. Aus einer Rose mit hässlichen Dornen wurden Dornen, die wunderschöne Rosen tragen. Manchmal muss man etwas hundertmal hören, um es einmal wirklich zu hören!
Was für ein Bild: eine schwangere Frau durchwandert einen unheimlichen Ort und aus den lange schon abgestorben scheinenden Dornen erblüht in duftenden Rosen neues Leben!
Was ist das eigentlich für eine Metapher, der Dornwald? Sieben Jahre hat er keine Blüten getragen. Ich assoziiere mit dem Dornwald Schmerz und Trauer über erstarrtes, ungelebtes, gänzlich verlorenes Leben. Auch die Erinnerung an Buchenwald kommt mir in den Sinn: vernichtetes Leben. Der Dorn im Auge, der Stachel im Fleisch.
Und dieses Leben soll blühen, weil eine Frau in guter Hoffnung diesen Unort des Lebens durchschreitet - ihr ungeborenes Gotteskind unter dem Herzen?
Und dann dieses immer wiederkehrende kyrie eleison, Herr erbarme dich. - Sollen die Adventswochen nicht eine Zeit der Vorfreude sein, die uns eher ein Halleluja in den Mund legen als ein kyrie eleison? Stollen und Plätzchen, anstelle des Kelchs, des bittern, des Leids, gefüllt bis an den Rand.
Ich glaube, viele Menschen haben deshalb ein gebrochenes Verhältnis zu Advent und Weihnachten, weil es oft so verlogen daher kommt. Als stiege wirklich der Himmelsfrieden nieder, nur weil wieder mal Dezember ist. Nein, die Dornen- und Buchenwälder unserer Welt roden sich nicht selber, nur weil Weihnachten auf dem Kalender steht. Dazu braucht es Menschen, die Hoffnung nicht als Vertröstung verstehen.
In unserem Nachbarland Simbabwe leben die Menschen seit Monaten, ja seit Jahren unter unsäglichen Bedingungen, nur weil ein altersstarrsinniger Revolutionär nicht von der Macht lassen kann. Und jetzt kommt noch diese Choleraepidemie, die das geschwächte Volk nun in großer Breite bedroht. Wird ein Diktator wie Mugabe das Volk aus seiner Geiselhaft entlassen - nur weil die Welt im Advent wie von selbst friedlich und heil wird? Wohl kaum. Doch singt das Lied wirklich davon?
Nein. Der Dornwald wird nicht gerodet. Aber weil eine Frau Gott selber - in der Gestalt eines gefährdeten und ungeborenen Kindes - an diesen hoffnungslosen Ort trägt, entsteht dort neue Hoffnung, symbolisiert in den blühenden Rosen. Und Hoffnung im biblischen Sinn will ja nicht, wie Marx monierte, Opium des Volkes sein, das nichts kostet und nur dazu taugt, die Sinne zu benebeln. Und schon gar nicht die vage Haltung: Na ja, wird schon alles irgendwie gut gehen.
Wirklich christliche Hoffnung, wie sie in den biblischen Texten begegnet, ist vielmehr eine mutige und manchmal trotzige Zuversicht, die zu handeln wagt, auch im Wissen, dass es für das Gelingen keine Garantie gibt.
Es müssen nicht immer rote Rosen sein, an das Lied uns denken lässt. Es kann auch eine "Weiße Rose" sein, die aufblüht, wenn Menschen Gott ihren Dornwald durchqueren lassen.
Bild von Sophie Scholl, Mitglied der studentischen Widerstandsgruppe "Weiße Rose" gegen die Nazidiktatur
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