Liebe Verwandte, liebe Freunde,
am letzten Abend des alten Jahres grüßen wir Euch herzlich aus dem ziemlich leeren Cambine und wünschen euch einen guten und gesegneten Anfang im neuen Jahr des Herrn 2011!
Eure Claudia und Thomas
Schließlich landeten wir bei dem Händler, bei dem wir vor drei Jahren unseren Gebrauchten im stolzen Alter von vierzehn Jahren erworben hatten. Für afrikanische Verhältnisse sozusagen als Jungwagen. Dort am Straßenrand, direkt neben dem fließenden Stadtverkehr, im Halbschatten unter einem Baum wurde uns geholfen. Ohne eine Nummer zu ziehen und ohne stolze Sprüche.
Ich will nicht über TOYOTA schimpfen. Ich will mich nur selber hüten, den Mund zu voll zu nehmen.
Da kannste lange warten...
Wir waren beim Einkauf für's Waisenhaus: drei Säcke Reise, zwei Säcke Mehl, Kartons mit Milchpulver, Ölflaschen – ein langer Einkaufzettel. Plötzlich ging die Heckklappe des Autos nicht mehr zu öffnen. Der Mechaniker unseres Vertrauens meinte, es sei ein elektrisches Problem. Er könne da nicht helfen. Er wusste aber jemanden, zu dem er mich samt Auto brachte. Bestimmt sei nur der Staub von Cambine auf den Kontakten. Das kann man nebenbei erledigen...
Der Elektriker ging tapfer ans Werk, entfernte hier eine Verkleidung, öffnete dort eine Klappe, und baute schließlich den gesamten Mechanismus der Heckklappe aus. Nach etwa anderthalb Stunden stellte er fest, dass er mir nicht helfen könne. Ein Teil der elektronischen Steuerung sei kaputt und das gäbe es nur in Maputo. Also baute er alles Ausgebaute wieder ein – was ihm sichtlich Mühe bereitete. Er hatte diese Arbeit an diesem Autotyp vorher sicher noch nie ausgeführt. Das dauerte weitere zweieinhalb Stunden...
In der Stadt wartete Claudia die ganze Zeit auf mich. Erst auf den Stufen vor einem Geschäft, dann im klimatisierten Wartebereich einer Bank. Nach vier Stunden kam ich endlich zurück und hatte nichts erreicht.
Außer vielleicht, dass wir den Doppelsinn des Wortes Geduld buchstabieren konnten: abwarten, auch wenn sich das Problem nicht gleich lösen lässt. Und zugleich dranbleiben, eben weil sich das Problem nicht gleich lösen lässt.
Morgen fahren wir also nach Maputo...
Zugleich ist Cambine aber auch eine Siedlung im Busch, denn dort, wo rings ums Dorf die Felder aufhören, fängt der Busch an. Auch dort leben Menschen. Die haben es weit zum Wasser und zur Haltestelle. Elektrischen Strom beziehen sie, wenn überhaupt, von der Sonne. Meistens leben sie von dem, was sie auf ihren Feldern anbauen und von Brennholz, das sie schlagen und ins Dorf verkaufen.
Wir waren auf dem Weg zu einem dieser Brennholzverkäufer. Wir kannten den Weg. Doch wo mussten wir vom Weg abbiegen, um zu seiner Hütte zu gelangen? Bei einigen Männern, die am Wegrand unter einem Baum saßen, fragte ich nach. Sie konnten mir zwar nicht weiterhelfen, doch ich sah, womit einer von ihnen beschäftigt war.
Auf einer Matte saß er im Sand, vor sich ausgebreitet ein zerlegtes Transistorradio. Neben der Matte brannte ein Holzfeuerchen. Zwei abgenagte Maiskolben lagen daneben. In den Maiskolben staken Stahlstifte, die er im Feuer aufheizte. Einen hatte er in der Hand, um damit zu löten. Ich staunte nicht schlecht. Ich weiß nicht, ob er sein Radio wieder zum Spielen brachte. Es würde mich allerdings wundern, wenn nicht.
Doch zugleich sind wir noch nicht wirklich hier. Die Erlebnisse und Bilder der vergangenen drei Monate wirken in uns nach und werden uns wohl auch noch eine Weile begleiten und beschäftigen. Herzlichen Dank für alle Freundlichkeiten und Wohltaten, die uns bei den verschiedensten Begegnungen mit euch zuteil wurden: Schuhe putzen, Computer reparieren, Wunschessen kochen, ins Konzert oder Restaurant einladen, beim Wein beisammen sitzen und erzählen, uns durch eure Stadt führen, ein Fest miteinander feiern … und vieles andere mehr.
Doch nun beginnt der Alltag wieder. Thomas wird am Montag im Seminar Wiederholungsprüfungen abnehmen. Danach müssen neue Vorlesungen für das zweite Semester (Juli – November) vorbereitet werden. Im Waisenhaus wird Claudia anfangen, Einnahmen und Ausgaben für die vergangenen drei Monate nachzubuchen. Vergangenen Freitag kam ungeplant ein Zwillingspärchen (sieben Monate alte Mädchen) ins Heim. Nun müssen zwei Kinderbetten besorgt werden und manches andere dazu... Ihr spürt, langweilig wird es vorerst wohl nicht werden.
Und dann ist da ja noch die Fußball-WM im Nachbarland Südafrika. Hinfahren werden wir nicht. Wir waren ja erst lange unterwegs. Aber das eine oder andere Spiel werden wir uns im Fernsehen schon anschauen - auf alle Fälle die Spiele mit deutscher Beteiligung. Und – mit Verlaub – die anderen, die danach noch folgen werden, sicher auch.
Es ist schon eigenartig. Wir waren drei Monate in Deutschland. Nun sind wir für weitere zwei Jahre in Mosambik. An dem einem Ort sind wir daheim. Am anderen Ort sind wir zu Hause. In welcher Richtung wir auch unterwegs sind, wir reisen immer von daheim nach Hause. Manchmal kommt es uns freilich so vor, als sind wir weder da noch dort richtig Zu Hause. Aber das ist – Gott sei Dank! - nur wirklich selten der Fall.
Zwischen daheim und zu Hause auf dem Airport Charles De Gaulle in Paris
Auf dem Flughafen werden Fotoapparate gezückt. Ein überlebensgroßer Nelson Mandela mit dem Pokal in der Hand, im Hintergrund eines der neu gebauten Stadien. Da kommt keiner vorbei ohne abzudrücken. Es wimmelt von Menschen. Von den oberen Stockwerken schallen einzelne Vuvuzelas durch die offene Haupthalle des Airports. Ein südkoreanisches Fernsehteam erwartet eine Delegation. Mit Trommeln und Fahnenschwenken werden die Ankommenden begrüßt.
Zoll- und Sicherheitsleute zeigen Präsenz, aktiv werden müssen sie nicht. Auch kontrolliert wird an diesem frühen Morgen niemand. Alles macht den Eindruck eines großen Festes, zu dem Verwandte aus aller Herren Länder anreisen. Auch ohne ein großer Kenner oder Fan zu sein, denke ich: Ist doch schön, wenn Menschen aus so vielen Ländern friedlich zusammen kommen – nur wegen eines Spiels. - Möge es die ganze Zeit der Meisterschaft über so bleiben!